Berlin
Reicher Staat, arme Bürger?

Arbeitnehmer zahlten 2011 so viel wie nie – Das ist Wasser auf die Mühlen der Steuersenker-Fraktion

12.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:37 Uhr

Berlin (DK) Reicher Staat, arme Bürger? 9943 Euro durchschnittlich zahlte jeder Beschäftigte im Jahr 2011 an Steuern und Sozialabgaben – so viel nie zuvor. Die Netto-Realverdienste hingegen sind trotz Wirtschaftsboom im Schnitt sogar leicht gesunken.

„Die schlechte Nachricht ist, dass durch Inflation und Steuertarif viele Bürger trotz höherer Einkommen am Ende real weniger Geld in der Tasche haben“, sagte Patrick Döring, designierter FDP-Generalsekretär, und warb für die von Schwarz-Gelb geplante Steuerentlastung. Andere Koalitionspolitiker nehmen die Sozialabgaben ins Visier, fordern an dieser Stelle Entlastung.

Die Beschäftigten mussten nach der Auswertung im Jahr 54 Euro oder 5,9 Prozent mehr an den Fiskus, an Renten- Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zahlen. Direkte Beitragserhöhungen gab es bei der Krankenversicherung (um 0,6 auf 15,5 Prozent) und bei der Arbeitslosenversicherung (um 0,2 auf drei Prozent). Der Löwenanteil der Mehreinnahmen beruht nicht auf höheren Steuer- und Abgabensätzen, sondern darauf, dass mehr Menschen einen Job hatten und zudem die Löhne gestiegen sind. Dadurch werden automatisch mehr Steuern und Sozialabgaben fällig.

Die Steuereinnahmen je Beschäftigtem stiegen um durchschnittlich 300 Euro pro Jahr – eine Folge des Wirtschaftsbooms. „Je mehr ein Beschäftigter verdient, desto stärker langt der Fiskus zu – selbst dann, wenn die Preise steigen und die Lohnerhöhung von der Inflation aufgefressen wird“, kritisiert Karl Heinz Däke, Präsident des Steuerzahlerbundes.

Schwarz-Gelb will die Steuerzahler ab dem Jahr 2013 um sechs Milliarden Euro entlasten. „Die SPD muss hier ihre Verweigerung überdenken“, fordert der designierte FDP-Generalsekretär Döring. Er fährt starkes Geschütz auf: „Wenn die SPD-Führung akzeptiert, dass Facharbeiter, Krankenschwestern und Busfahrer am Ende trotz steigender Einkommen weniger in der Tasche haben, dann ist das schlicht Verrat an deutschen Arbeitnehmern.“

Doch am Nein der SPD zu den Steuerplänen dürfte das nichts ändern. Die sozialdemokratisch geführten Bundesländer wollen auf Steuermilliarden angesichts der Länderdefizite nicht verzichten. Der Koordinator der SPD-Länder, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, hält einen Einnahmeverzicht gar für verfassungswidrig. Schließlich gelte es vordringlich, die Schuldenbremse zu erfüllen. Allerdings will der Bund die Kosten des Abbaus der kalten Progression, die Ländern und Kommunen entstehen würden, übernehmen. Und eine Anhebung des Existenzminimums ist ohnehin verfassungsrechtlich geboten.

Die Weigerung der SPD-Seite ist auch politischem Kalkül geschuldet: Einen Steuersenkungserfolg will man Schwarz-Gelb vor der Bundestagswahl nicht gönnen. CDU/CSU und Liberale werben umso lauter für die Steuerentlastung. Bei den Sozialversicherungsbeiträgen agiert jedoch auch die Koalition sehr zurückhaltend: Von einer Senkung des Pflege- oder Krankenversicherungsbeitrages will der zuständige Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nichts wissen. Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) will sich damit nicht zufriedengeben. Er fordert weiter eine Absenkung des Betrags.