Ingolstadt
Realschullehrer an der Front

27.07.2011 | Stand 03.12.2020, 2:34 Uhr

Ingolstadt (sic) Thomas Dachs hält wenig von Thilo Sarrazin. „Der erzählt sehr viel Schmarrn“, sagt der zweite Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands über den streitbaren SPD-Politiker.

Einen echten Sarrazin hat er sich allerdings eingerahmt: „Was ein bayerischer Schüler nicht kann, das reicht in Berlin immer noch für fünf Schüler, um in die nächste Jahrgangsstufe aufzusteigen.“ Dachs zitiert den Spruch gern und voller Überzeugung.

Natürlich sei das eine kalkulierte Polemik, findet er, sie berge aber trotz allem eine unleugbare Erkenntnis: Das dreigliedrige bayerische Schulsystem sei „eines der leistungsfähigsten“. Das führt den Verbandsvertreter zu seiner Frage aller Fragen: „Warum bitte sollte man dieses bewährte System stark verändern? Was soll das bringen“

Die Frage steht seit einem Beschluss des CDU-Präsidiums im Raum. Die Partei regt an, Haupt- und Realschulen zu Oberschulen zusammenzulegen. Die FDP favorisiert schon lang ein zweigliedriges System. Die CSU hält – noch – dagegen. Und auch der Realschullehrerverband macht entschlossen Front gegen diese Fusionspläne. Daher ist Dachs (hauptamtlich zweiter Konrektor an der Johann-Simon-Mayr-Realschule in Riedenburg) derzeit viel unterwegs, um die Dreigliedrigkeit zu retten.

Er hat weit mehr als Sarrazin im Köcher. Statistiken, „die alle belegen, wie gut das bayerische System ist“. Dachs referiert die Zahlen immer und immer wieder: Jugendarbeitslosigkeit unter 3,5 Prozent. Zahl der Schulabbrecher 6 Prozent; jeweils der bundesweit niedrigste Wert. Im Ländervergleich liegt Bayern auf fünf Kompetenzfeldern (wie Lesen und Rechtschreibung) vorn.

Also wiederholt er seine Frage: „Wozu soll so eine grundlegende Reform gut sein“ Nicht zuletzt: Was bitte sollte es den Realschulen bringen, wenn sie mit den Haupt/Mittelschulen vereinigt werden? Das habe ihm bisher keiner überzeugend erklären können, sagt der 47-Jährige.

Für den Verband steht fest: „Würde man in Bayern die Realschulen auflösen, würden ca. 45 Prozent der Schüler auf Gymnasien wechseln, weil sie dafür geeignet sind.“ Dann bräuchte man gut 150 neue Gymnasien. Zur Rettung der vielen bedrohten Hauptschulstandorte würde das gar nichts beitragen. Im Gegenteil. Dieses Problem könne keine Fundamentalreform lösen, glaubt Dachs. „Es gibt rund 1000 Haupt- oder Mittelschulen in Bayern. Wer glaubt denn im Ernst, dass man die alle halten kann“ Da spreche schon die Demografie dagegen.

Hart geht er mit dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ins Gericht, denn der vertritt die meisten Hauptschullehrer und fordert eine Fusion mit den Realschulen. „Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Verband die Schule seiner eigenen Mitglieder schlecht redet! Das ist unglaublich!“ Der BLLV sei drauf und dran, „sich selber überflüssig zu machen“.

Einen alten Kämpen bewegt die Sorge um die Realschule so sehr, dass er sich zu Wort meldet: Walter Trapp (81), von 1979 bis 1993 Chef des Bayerischen Realschullehrerverbands, hat alle ideologischen Systemdebatten seit den Sechzigern ausgefochten. „Das waren wahre Glaubenskämpfe um die Gesamtschule.“ Aber man habe sie verhindern können! Trapps Lehre aus 43 Berufsjahren: „Kinder sind nun mal unterschiedlich begabt. Also muss man sie auch unterschiedlich unterrichten.“