Greding
Realer Krieg im virtuellen Raum

Wehrtechnische Dienststelle weiht innovatives Zentrum ein – Vernetzte Operationen können Leben retten

27.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:37 Uhr

Die Botschaft der Bundesrepublik im Kaiserreich Bayern ist ein umkämpftes Fleckchen Erde, wie Gottfried Seemann (rechts) und Matthias Baier in der Präsentation des ZINS zeigen. Doch mithilfe der vernetzten Kommunikation aller Kräfte können die Franken schließlich evakuiert werden. Zu sehen sind alle Einzelheiten der Operation auf der Medienwand im Audimax - Foto: Luff

Greding (HK) Großes Lob von vielen Seiten hat es jetzt für die Ingenieure der WTD 81 gegeben: Mit der Entwicklung des sogenannten ZINS haben sie unter Beweis gestellt, dass sie in Sachen Erfindungsgeist für die Bundeswehr die Nase ganz weit vorne haben. Am Donnerstag wurde es offiziell eröffnet.

Das Zentrum für Interoperabilität, NetOpFü und Simulation (ZINS) stellt einen Quantensprung in Sachen Simulation und Auswertung verschiedenster Operationen und Technikeinsätze dar. Die Abkürzung NetOpFü steht dabei für die vernetzte Operationsführung und bedeutet, dass etwa die Leute im NATO-Planungsstab zur selben Zeit dieselben Informationen bekommen wie der einzelne Soldat im Einsatz. Das ZINS an der Wehrtechnischen Dienststelle für Informationstechnologie und Elektronik (WTD 81) ist mindestens europaweit einmalig und bietet bis dato ungeahnte Möglichkeiten. „Wir können damit Zeit, Geld und Ressourcen sparen“, sagte Walter Hader, der zuständige Geschäftsbereichsleiter an der WTD über sein „Baby“, wie er die hochmoderne Einrichtung auch bezeichnete. Einen Satelliten für Übungszwecke teuer anzumieten, werde beispielsweise überflüssig, „wir können mit dem Simulator die Satellitenverbindung nachbilden“.

Geboren worden sei die Idee zum ZINS im Nachgang der Übung Common Shield (Gemeinsames Schutzschild), als NATO und Bundeswehr an der Ostsee neue, vernetzte Konzepte und Systeme zum besseren Schutz von Soldaten und militärischer Infrastruktur in Einsatzgebieten getestet haben. Zwei Jahre Planung sei für die Übung nötig gewesen, so Hader – doch die erste Übungswoche sei damit draufgegangen, das Netzwerk nachzujustieren. Mit dem ZINS der WTD 81 benötige man noch zwei bis drei Monate. „Wenn Sie uns die Vorgaben geben“, wandte sich Hader an die versammelten Militärs und Vertreter von Rüstungskonzernen, „dann brauchen Sie noch einen halben Tag.“

Dass Soldaten zur Erprobung von Neuerungen tatsächlich ins Gelände geschickt werden, kann, muss aber nicht mehr sein – dem ZINS sei Dank. „Wir kombinieren Teile der Bundeswehr, die es gibt, mit Teilen der Bundeswehr, die es nicht gibt“, brachte es Matthias Baier bei einer kurzweiligen Präsentation auf den Punkt. Im Wesentlichen ist das neue Zentrum nämlich ein hochkomplexes Computerzentrum, das von außen mit Daten gefüttert wird und seinerseits wieder Daten verteilt. Die wiederum können bei Einsätzen gesammelt werden oder auch nur in der virtuellen Welt simuliert.

Herzstück des Gebäudes ist eine Medienwand, die aus 15 70-Zoll-Würfeln besteht. Auf diese Wand können Kamerabilder, Datensätze und -bänke, Luftaufnahmen und ähnliche Dinge zusammengeschaltet werden, um Wirkketten auf etwaige Schwachstellen hin zu untersuchen – und mögliche Lösungen gleich zu testen. „Wir können bis zu 40 Quellen auf die Einrichtung schalten“, so Hader. Es sei möglich, die Übung einer Fregatte in Wilhelmshaven mit einem Flug des Tigers in Frankreich zu kombinieren und darzustellen. Taucht in Afghanistan ein Problem auf – die WTD in Greding hilft: „Man könnte die Einsatzleitungen bis hierher in ZINS schalten, wenn wir gebraucht werden.“

Aus der Luft gegriffen ist das nicht. Haben doch die Experten der WTD 81 herausgefunden, dass der schlecht entwickelte Scheibenwischermotor eines 7,5-Tonners mit seiner Strahlung dafür verantwortlich war, dass am Straßenrand Bomben zündeten, wie Admiral Thomas Daum vom BAAINBw verriet. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr ist die übergeordnete Fachbehörde der WTD. Deren Kompetenz werde mit der neuen Einrichtung „ganz erheblich ausgebaut“, lobte er und versprach: „Wir werden das nutzen.“ Denn: „Expertise ist etwas, was man nur schwer einkaufen kann.“

Vom Erfindungsgeist auf dem Kalvarienberg zeigten sich auch der stellvertretende Landrat Max Netter und Bürgermeister Manfred Preischl begeistert. Das ZINS sei „das jüngste Kind der beeindruckenden Bauwerke der WTD 81“, sagte Netter. Überhaupt habe die ehemalige Erprobungsstelle die Wirtschaftsstruktur der Kommune und der Region mit ihren hoch qualifizierten Arbeitsplätzen nachhaltig geprägt, ergänzte der Bürgermeister, der sich auch dankbar zeigte, dass die Einrichtung wie ihre Mitarbeiter in den 50 Jahren des Bestehens der WTD „fest in Greding hineingewachsen“ seien.

Einen festen Standort hat auch das ZINS mit seiner Medienwand im Audimax, drei Besprechungsräumen, einem Regie- und einem Besprechengraum sowie zweier Labore. Doch sei es weit mehr als ein Gebäude, so Harder. „Es ist Teil einer großen Vernetzungsstruktur.“

Wie diese Vernetzung in der Anwendung aussehen kann, demonstrierten Matthias Baier und Gottfried Seemann anhand einer aufwendigen, dynamischen Präsentation, zu der auch die WTD 61 in Manching mit Luftaufklärung beitrug. „Wir haben nur ein schmales Zeitfenster“, erklärte Hader, schließlich sei der Luftraum eigens für die Präsentation reserviert.

Die Soldaten waren dabei auf dem Gelände der WTD 81 unterwegs – der fiktiven Botschaft der Bundesrepublik im abgespaltenen Bayern des Kaisers Franz (Beckenbauer). Von dort sollten Botschaftsangehörige und weitere Franken evakuiert werden. Ob veraltete Bilder des Operationsgebiets oder überraschende Explosionen auf dem zunächst vorhergesehenen Weg, die urplötzlich eine andere Strategie erforderten – mithilfe des ZINS waren Soldaten auf dem Gelände ebenso wie der Kommandostab in Potsdam jederzeit Herr der Lage. Das Auditorium zeigte sich beeindruckt. Jetzt sollen auch Rüstungsfirmen die Einrichtung mieten. Damit das ZINS Zinsen trägt.