Randnotiz: Politischer Spruch des Jahres

23.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:18 Uhr
Manchmal reichen drei Worte, um für den Fußballspruch des Jahres nominiert zu werden. Als ein Zuschauer vor dem Spiel der Nationalelf gegen Argentinien die Gedenkminute für die Opfer des Anschlags in Halle störte, rief ein Fan namens Jens: "Halt die Fresse." −Foto: Becker, dpa

Der Fußballspruch des Jahres geht mit der Zeit. Bei der ersten Vergabe 2006 hob sich Lukas Podolski mit "So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere" in den Olymp der lustigsten, weil dämlichsten Weisheiten. Übertroffen nur von Lothar Matthäus und Andreas Möller, die wahrscheinlich jedes Jahr den Spruch des Jahres geliefert hätten, hätte es den Preis zu ihrer aktiven Zeit schon gegeben. Na ja. Wäre, wäre, Fahrradkette. 2020 folgt die Auswahl der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur zum ersten Mal dem Motto: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Politischste im ganzen Land?"

Aber auch dieses Jahr kommen nette Schmonzetten nicht zu kurz. Da wäre zum Beispiel Nürnbergs Aufsichtsratsboss und Philosoph im Nebenberuf, Thomas Grethlein: "Das Leben ist kein FC Bayern. Das Leben ist eher wie der Club." Oder der Schenkelklopfer von Schiedsrichter Manuel Gräfe: "Der Einzige, den ich gesiezt hab, war Olli Kahn. Ich war Mitte 20 und hatte Angst."

Mindestens Sorgen machen muss man sich um den Zustand des Landes - wenn schon die Fußballer mit gesellschaftskritischen Sprüchen daherkommen. Fünf der elf Top-Sprüche beschäftigen sich mit Europapolitik, Rassismus oder Menschenrechten. Zu denen zählt nach Ansicht der Anhänger von Union Berlin auch das Fan-Sein an sich. "Kein Stadionverbot fürs Geschlecht" schrieben sie, nachdem sich eine Iranerin selbst angezündet hatte, weil sie kein Spiel der Männer im Stadion anschauen durfte.

Die weitere Auswahl: Die Bayern-Fans fragten sich in Anspielung auf Dietmar Hopp, wen sie beleidigen müssen, damit über die EU-Grenzpolitik nachgedacht wird. Kevin-Prince Boateng kritisierte die laschen Sanktionen nach den rassistischen Äußerungen von Clemens Tönnies. Und Trainer Daniel Thioune - damals noch bei Osnabrück, heute in Hamburg - kritisierte und spottete zugleich: "Wer es nicht schafft, gegen den HSV zu punkten, sollte nicht auf dem Rücken eines Flüchtlings, der niemandem etwas getan hat, versuchen, einen Vorteil herauszuholen."

Doch die Auswahl der Jury zeigt auch, dass es nicht immer ein geistreiches Bonmot sein muss, manchmal reichen drei vulgäre Wörter. Als ein Mann die Gedenkminute für die Opfer des Anschlags in Halle vor einem Spiel der Nationalmannschaft störte, rief Fan Jens: "Halt die Fresse."

Bis Samstag kann man noch online abstimmen. Sie haben die Wahl: Politik oder Podolski?

Bastian Mühling