Ingolstadt
Profilschule in St. Vinzenz: Ein dichtes Netz an Hilfen

Förderzentrum im Caritas-Zentrum St. Vinzenz erhält "Profil Inklusion" - Schulleiter erklären, warum das kein Widerspruch ist

30.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:07 Uhr
Förderstätte für 1200 Menschen jedes Alters: Die Lehrerin Josefine Hanus (im Hintergrund, links) beim Fußballspiel von Berufsschülern vor dem Caritas-Zentrum St. Vinzenz an der Frühlingstraße. Das Foto entstand Anfang Oktober. −Foto: Silvester

Ingolstadt - Die Auszeichnung ist amtlich.

Der bayerische Kultusminister Michael Piazolo hat die Urkunde unterzeichnet. Sie liegt zwischen Rainer Grupp, Leiter des Förderzentrums im Caritas-Zentrum St. Vinzenz, und seinem Stellvertreter Tobias Thalmeier auf dem Tisch. Ihr Haus darf sich jetzt "Schule mit dem Profil Inklusion" nennen. Die Sperrigkeit dieses Begriffs soll aber nicht über die Bedeutung des Prädikats hinwegtäuschen, denn es bedarf so einiger Leistungen und Initiativen, um den begehrten Titel Profilschule für Inklusion zu erhalten.

Der interessierte Laie könnte zunächst etwas irritiert sein. Beschreibt der Terminus Inklusion nicht das Ziel, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung in möglichst großer Zahl gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ohne Behinderung an Regelschulen zu unterrichten? Doch Grupp und Thalmeier leiten eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, ein Kompetenzzentrum für Sonderpädagogik, wie es das Ministerium definiert; Sonderpädagogik ist ein eigenes Studienfach. Ist das nicht ein Widerspruch? Was kann ein Förderzentrum zur Inklusion beitragen?

Viel, sagen Grupp und Thalmeier. "Wir haben uns über Jahre mit diesem Thema beschäftigt und mehrere Projekte auf den Weg gebracht. " Das Lehrerteam sinnierte über Fragen wie: "Was gibt es schon bei uns? Was ist neu? Welche Visionen haben wir? " Die Erkenntnisse flossen in ein 30-seitiges Konzept, das im Kultusministerium so gut ankam, dass es das Ingolstädter Förderzentrum der Diözese Eichstätt mit der Urkunde bedachte.

Ein wesentlicher Beitrag der Schulfamilie von St. Vinzenz für die Inklusion lässt sich so beschreiben: Rausgehen! Begegnungen schaffen. Schüler mit Behinderung und Schüler ohne Behinderung werden gemäß einem bewährten Konzept stundenweise gemeinsam unterrichtet, gefördert, begleitet und kreativ beschäftigt. Dieser Austausch baut auch Unsicherheit ab und stärkt das Selbstvertrauen der Kinder. Schon seit einigen Jahren pflegt die Förderschule regen Austausch mit einer Partnerklasse an der Grundschule Gotthold Ephraim Lessing. Eine Partnerklasse in der dortigen Mittelschule kam dazu. Seit 2018 gibt es eine dritte Partnerklasse an der Grundschule an der Pestalozzistraße. "Es arbeiten immer zwei Lehrer zusammen, sie sprechen sich ab, wie viel sie kooperieren, und zwar in allen Fächern", berichtet Rektor Grupp. "Wir sind da sehr flexibel. "

Die Kinder und Jugendlichen aus seinem Haus beteiligen sich an der Lessing- und der Pestalozzistraße am Schulleben, singen im Chor, spielen in Theatergruppen mit. "Sie übernehmen auch Einzelrollen", sagt Grupp. "Man kennt sie gar nicht mehr raus, so super sind sie integriert! " Natürlich würden seine Schüler in den Regelschulen "in ihrer Besonderheit wahrgenommen". Aber Kinder ohne Behinderung erfahren früh, dass Kinder mit Behinderung ganz normal sind - mit der Betonung auf normal.

Ein weiterer Beitrag des Förderzentrums für die Inklusion ist der Mobile Sonderpädagogische Dienst (MSD). Wie Zentren mit anderen Förderschwerpunkten auch unterstützt das Förderzentrum in St. Vinzenz Kinder und Jugendliche an Regelschulen. "Wir betreuen und fördern derzeit insgesamt 16 bis 18 Schüler in der Region in der sogenannten Einzelinklusion an Regelschulen über den MSD", sagt Grupp. "Wir unterstützen die Regelschulen, beraten die Schulbegleiter und die Eltern. Wir bieten eine begleitende Inklusionsberatung für die Eltern. Und wir sind für die Schullaufbahnberatung zuständig. Es gibt also ein dichtes Netz an Hilfen. "

Einen zentralen Punkt heben die Schulleiter hervor: "Es zählt nur der Elternwille. " Sie können nicht dazu verpflichtet werden, ihr Kind auf eine Förderschule zu schicken. Stichwort UN-Behindertenrechtskonvention. In bestimmten Fällen ist es jedoch die beste Lösung. Die Heilpädagogen des Förderzentrums besuchen Kitas und nehmen Kinder mit Behinderung früh in den Blick: Wahrnehmung, Motorik, Intelligenzquotient, Kognition. "Wir schauen uns die Kinder an. Vor der Einschulung machen wir dann die große Runde. "

Der Diagnostik der Sonderpädagogen folgen Gespräche mit den Eltern, die nicht immer einfach sind. "Die Vorbereitung ist wichtig. Der gedankliche Weg ist oft lang. Manche Eltern haben hohe Erwartungen. " Es gelte, Sorgen und Ängste zu lindern, zu informieren und aufzuklären. Zunächst über etwas Grundsätzliches: "Man muss Schüler mit Behinderung und ohne Behinderung nicht lernzielgleich unterrichten. Wir wollen fördern, aber nicht überfordern", erklärt der Schulleiter.

Die Schule öffne sich, um Vorbehalte abzubauen. "Die Eltern wollen wissen: Wie ist das Klima, was ist geboten? " Die Vertrauensarbeit in St. Vinzenz diene auch dem Ziel, die Eltern davon zu überzeugen, dass eine Förderschule ein "Rückzugs- und Schonraum" sein kann.

Noch einmal die Frage: Machen sich Förderzentren überflüssig, wenn sie der Inklusion dienen? Keinesfalls, antworten Grupp und Thalmeier. Vielmehr unterstützten sie die Regelschulen mit großer Teilhabe.

Eine Vision der Sonderpädagogen ist gemeinsamer Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung in "Tandemklassen" mit je zwei Lehrern. "Wir würden damit Regelklassen zu uns ins Haus holen. " Noch ist das ein Wunsch. Doch ein Förderzentrum mit staatlichem Gütesiegel für Inklusion kann vermutlich auch dieses Ziel eines Tages erreichen.

DK

Christian Silvester