München
Prinzessin mit minus sechs Dioptrien

Umwerfend komisch: Das Familienmusical "Cinderella" im Münchner Gärtnerplatztheater

21.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Dieser Prinz (Lars Schmidt, kniend) hat einfach alles: Ein steppendes Pferd und eine perfekt fehlsichtige Braut (Tanja Petrasek) – da staunt sogar der Haushofmeister (Andreas Goebel) - Foto: Zach

München (DK) Wie romantisch wäre es für ein Paar, exakt die gleiche Sehschwäche zu haben – und wie praktisch, so könnte man sich abwechselnd ansehen, wenn gerade nur eine Brille vorhanden ist! Jeder Traum einer perfekten Liebe sieht eben anders aus. Doch muss der kurzsichtige Sohn des Königs Karlheinz seine Liebste schnell finden, schließlich hat er nur einen Abend lang Zeit.

Die Handlung wird den meisten Zuschauern der Musicalpremiere „Cinderella“ bestens bekannt sein – auch wenn sie in neuem Gewand erscheint: Der Regent, ein Märchenfan, hat die Opposition am Hals, hat er doch bereits seinen sieben Töchtern eine Traumhochzeit ermöglicht – und jede bekam das halbe Königreich mit dazu. Entsprechend ist dieses inzwischen geschrumpft und nun fordern die besorgten Politiker: „Keine Märchen mehr“, der Prinz soll bürgerlich heiraten – und zwar flott.

Dass der zu Beginn des Abends auf einem Podest erhöhte Karlheinz „der Große“ mit seinem recht fragwürdigen bayerischen Dialekt von Stefan Bischoff letztlich ausdauernd auf seinen Knien robbend als Scheinriese König Ludwig II. gespielt wird, ist nur einer von tausend komischen kleinen Regieeinfällen, die Intendant Josef Köpplinger so versiert wie sorgfältig entwickelt. Der Gärtnerplatz-Chef war vor nunmehr 15 Jahren in Regensburg bereits der Geburtshelfer dieses feinen, kleinen Familienmusicals, das er jetzt neu inszeniert hat. Es mag manchmal etwas befremdlich anmuten, wie Köpplinger die „Best of“-Sammlung seiner langen Theaterkarriere für München neu aufpoliert auf den Tisch bringt, aber solange das Konzept so perfekt aufgeht wie hier, darf man sich nicht beschweren.

Das Familienmusical nach dem bekannten Märchen stammt aus der Feder des in Berlin lebenden Kabarettisten und Chansonniers Thomas Pigor, und es kommt so unaufgeregt und dezidiert unamerikanisch daher, dass man sich unwillkürlich fragt, warum es gerade „Cinderella“ heißen muss. Doch das Programmheft klärt auf: „Ella Zinder“ heißt die Titelfigur eigentlich und bekanntlich ist es ja gerade in Bayern gebräuchlich, den Nachnamen voranzustellen.

Auch sonst ist vieles anders in Pigors Reich, die böse Stiefmutter wird nach Art von Charlys Tante von einem Mann gegeben (perfekt als Monstermatrone: Robert Joseph Bartl) und hat eine zarte, egoistische Seele im wogenden Busen verborgen. Sie verlangt von der Stieftochter zwar die Linsenlese, wie im Märchen, doch auch ausdauernde Schultermassagen. Dieses Mädchen hingegen ist nicht nur der vernachlässigte Nesthaken und ein wenig sonderlich, sondern auch ganz schön wütend und brennt darauf, seine Opferrolle endlich loszubekommen. Tanja Petrasek spielt das ganz hinreißend, ist stimmlich aber leider weit unter dem Gesamtniveau des Abends anzusiedeln. Ebenso tut sich ihr Prinz (Lars Schmidt) mit dem Singen schwer. Aber die Musik ist sowieso eher zweitrangig bei diesem energiegeladenen und timingstarken Theaterwunder, das von Kindern wie Eltern ausdauernd beklatscht wird.

Das Märchen bleibt also stets erkennbar – und Erwachsene haben auch ihren Spaß, wenn beispielsweise eine seltsam vertraute Dame namens Angela sich als Prinzenfrau ins Spiel bringt, und mit dem Hinweis, sie sei „alternativlos“, die Finger zur wohlbekannten Raute formt.

Das Orchester macht den ganzen Spaß bravourös mit, tritt in Zwergenkostümierung mit unbequem aussehenden Kratzbärten den Dienst an und singt bei Betreten des Orchestergrabens sogar den Disney-Song „Heiho, heiho“. Der große Einsatz aller Mitwirkenden wird belohnt – selten hat in der Reithalle ein, übrigens mehrheitlich erwachsenes, Premierenpublikum so frenetisch gejubelt. Köpplingers sorgfältig aufbereitete Zweitverwertung hat perfekt gezündet. Darauf hat München offensichtlich gewartet. Man setze die Märchenbrille auf, sehe und staune.

Termine noch bis zum 8. Februar.