Ingolstadt
Premiere unter dem Bahngleis

Stromkabel queren ICE-Strecke - neues Tunnelbauverfahren

02.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:10 Uhr
Tunnelbaustelle: Von diesem Schacht aus wird eine Rohrleitung 35 Meter unter der ICE-Strecke bei Etting verlegt. Im Hintergrund sind gelbe Prismen zu erkennen, die Bodenabsenkungen detektieren. −Foto: Hammer

Ingolstadt - Ein Bahndamm ist unbestritten deutlich kleiner als der Alpenhauptkamm.

Der Tunnel, der derzeit unter der ICE-Trasse bei Etting gebaut wird, ist mit 35 Metern außerdem merklich kürzer als der 55 Kilometer lange Brennerbasistunnel, dennoch kommt bei beiden Bauwerken ein ähnliches Verfahren zum Einsatz. In Ingolstadt freilich en miniature. Experten sprechen deswegen auch von einem "Microtunnel".

Trotz der verhältnismäßig geringen Dimensionen haben die Planungen für den Bau über zwei Jahre gedauert, berichtet Projektleiter Heiner Scholten von der Bayernwerk Netz GmbH. Denn das Terrain ist schwierig. Dass eine Stromleitung über oder unter einer Bahntrasse verlegt wird, kommt immer wieder vor. Auch Straßen und Flüsse werden regelmäßig unterquert. Die Schienen der ICE-Hochgeschwindigkeits-Strecke bei Ingolstadt liegen allerdings nicht wie meistens auf einem Schotterbett, sondern auf langen, stabilen Betonfundamenten. Der Untergrund darf sich deswegen nicht senken, wenn darunter eine Leitung verlegt wird. Das macht ein Verfahren nötig, dass erschütterungsfreies Bohren möglich macht. Für Bayernwerk ist der Microtunnel eine Premiere. Bisher wurden Leitungen, wo es geht, mit konventionellen Verfahren verlegt. "Das kostet deutlich weniger", so Holsten. Für den Microtunnel rechnet Bayernwerk mit Kosten von 500000 Euro und einer Bauzeit von gut drei Wochen.

Um die beiden geplanten Tunnel - Durchmesser 60 Zentimeter im Abstand von 4,5 Metern - bohren zu können wurden zunächst rechts und links der Gleise je zwei so genannte Absenkschächte gegraben. Sie bilden die Start- und Zielpunkte der Mikrotunnel. In dem ersten ist bereits vergangene Woche der Bohrkopf gestartet. Die ersten rund 3,5 Meter hat er sich alleine nach vorne gegraben, danach werden einzelne Betonrohrteile hinterhergeschoben, die den Bohrer nach vorne treiben. Der Kopf ist in der Lage, auch größere Steine zu zerkleinern. Die Brocken werden dann aus dem Tunnel gespült. Bei anderen Verfahren würde etwa ein großer Stein einfach aus dem Weg gedrückt, erklärt Scholten. Das könnte allerdings die Bahntrasse darüber anheben oder absenken. Und das darf nicht passieren. Zwischen Gleisen und Startschacht sind an der Oberfläche etliche Prismen aufgebaut, die Bodenbewegungen erfassen. Sie erkennen bereits Veränderungen von nur einem Millimeter. Der Spielraum, den die Strecke abgesenkt oder angehoben werden darf, ist nicht sehr viel größer. "Wir haben uns einen Richtwert gesetzt, als wenn die Züge hier mit 300 Kilometern in der Stunde drüberfahren würden", erklärt Scholten. "Tatsächlich sind es an dieser Stelle rund 160."

Läuft alles nach Plan, erreicht der Bohrkern am heutigen Dienstag den Schacht auf der gegenüberliegenden Seite. Er sollte genau das Loch treffen, das dafür in der Betonverschalung offen geblieben ist. "Kein Problem", sagt Bauleiter Klaus Gerhardter, der den Vortrieb von einem Steuercontainer aus überwacht. "Wir haben einen Laser und eine Zieltafel, an der wir uns orientieren. Die Abweichung beträgt auf die 35 Meter höchstens Millimeter. "

Ist das erste Betonrohr verlegt, wird der Bohrer in den dritten Schacht gehoben und die Arbeiten am zweiten Microtunnel beginnen. In jedem Rohr werden später je drei Kabel mit einem Durchmesser von 11,5 Zentimeter verlegt. Die beiden 110-Kilovolt-Leitungen verbinden dann das Umspannwerk "Etting" in der August-Horch-Straße mit dem Werk "Audi" in der Carl-Zeiss-Straße. Der Strom fließt aber nicht nur in das Firmengelände. Auch Haushalte in der Nachbarschaft werden über die neue Leitung versorgt. In zwei Wochen soll alles fertig sein.

DK

Johannes Hauser