Predigt zur Christmette von Dekanin Gabriele Schwarz

21.12.2012 | Stand 03.12.2020, 0:41 Uhr


Dekanin Gabriele Schwarz, Matthäuskirche Ingolstadt
 
Liebe Gemeinde!
 
„Es kommt mir noch gar nicht so vor, dass bald Weihnachten ist.“ – Diesen Satz habe ich in den letzten Wochen öfter gehört. Doch jetzt, in dieser Stunde, da fühlen wir es: Es ist wieder Weihnachten geworden. Denn es gibt bestimmte Zeichen, die in uns das Gefühl von Weihnachten wachrufen: Der Christbaum mit seinen Lichtern, die vertrauten Lieder, der Duft der Weihnachtsplätzchen zu Hause, oder die altvertrauten Worte: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging….“
 
Im Lukasevangelium gibt es für Weihnachten aber noch ein anderes Zeichen: „Fürchtet euch nicht,“ sagt der Engel, „denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt.“
 
Das Zeichen von Weihnachten ist für Lukas: Eine Windel, eine „stinknormale“ Windel – ein ganz prosaischer Gegenstand der Babypflege. Nichts Erhabenes, Außergewöhnliches, typisch „Weihnachtliches“.
 
Dass ausgerechnet Windeln das Kennzeichen des Heilands sind, das war den Christen im Laufe ihrer Geschichte immer wieder peinlich. Schon im 2. Jahrhundert forderte der Theologe Marcion: „Schafft endlich die Krippe fort und die eines Gottes unwürdigen Windeln!“ Der Stall und die Krippe, das waren für Marcion sozusagen ein Imageschaden. Der Glaube sollte schön sein und erhaben.
 
Die Ansichten des Marcion haben sich im Christentum nicht durchgesetzt, und so wurde die ursprüngliche Geschichte des Lukas immer weitererzählt. Und Martin Luther hat es auf seine typisch derbe Art so ausgedrückt, wie ich es heute, am Heiligen Abend, etwas gefiltert wiedergeben möchte: Dass Gott selbst in diese Windeln macht!
 
Gott selbst ist in Windeln. Er kommt auf die Welt, wie jeder andere Mensch auch. Er ist nichts Besonderes. Er ist wirklich ein Mensch. Klein zwar noch, aber ein wirklicher Mensch. Und darum sind die Windeln das Zeichen für Weihnachten: Gott ist Mensch geworden. Gott ist Mensch, und er, der Herr der Welt, er teilt die Menschlichkeit mit uns. So wie ich ein Mensch bin und Sie alle auch. Mit dem, worauf ich stolz bin und mit dem, was ich nicht an mir mag. Mit dem, was ich leiste und dem, womit ich nicht fertig werde. Mit meinen Freuden und meinen Sorgen… Genauso wie wir alle ist Gott selber geworden.
 
„Mir ist nichts Menschliches fremd“, so sagen wir manchmal, und wir meinen damit, dass wir nachsichtig sind. Und dass sich ein anderer nicht zu schämen braucht, wenn ihm etwas misslungen ist. An Weihnachten sagt Gott zu uns: „Mir ist nichts Menschliches fremd.“ Und er meint das Gleiche damit: Er weiß, dass wir nicht immer perfekt sein können. Dass wir unsere Schwächen und Fehler haben, und dass wir nicht immer das tun, was wir könnten, müssten oder sollten. Gott weiß das und sagt trotzdem zu uns: Kommt her zu mir, schaut mich an und lasst euch ansprechen von mir. Ich liebe Euch. Ich liebe die Menschen und bin für sie da.
 
Für mich ist das eine tröstliche und hoffnungsfrohe Botschaft – gerade für unsere Gesellschaft, die so sehr an Äußerlichkeiten hängt. In der an Fotos retuschiert und an Körpern operiert wird, um den Eindruck altersloser Fitness zu erwecken. In der akribisch nach Fehlern und Schwächen anderer gesucht, aber nur selten für Stärken und Erfolge gelobt wird. In der es eine gewisse Schadenfreude hervorruft, wenn man sagen kann: Schaut her, der oder die ist auch nur ein Mensch, und nicht einmal ein besonders Guter!
 
Vor einigen Jahren wurde ein Graffiti berühmt, das jemand an eine Hauswand gesprüht hatte. Es heißt: „Mach’s wie Gott, werde Mensch.“
 
„Mach’s wie Gott, werde Mensch“ – das ist auch der Auftrag, den wir von der Krippe, vom stimmungsvollen Weihnachtsgottesdienst mit nach Hause nehmen: Dass wir Menschlichkeit in unserem Leben und in unserer Gesellschaft zulassen – und mehr noch, dass wir Menschlichkeit fördern.
 
Wie das geht?
 
Das fängt im Kleinen schon damit an, dass wir andere in ihrer Persönlichkeit achten und nicht dauernd an ihnen herummäkeln, selbst wenn sie uns manchmal auf die Nerven gehen.
 
Es geht weiter damit, dass wir Verständnis zeigen und Rücksicht nehmen auf die, die Schwierigkeiten haben mit ihrem Leben. Und es kann so weit gehen, dass wir uns öffentlich einsetzen für Gerechtigkeit und Frieden in unserer Stadt, unserem Land und der ganzen Welt.
 
Es ist nicht selbstverständlich, dass wir hier in unserem Land nun schon so lange im Frieden leben, und dass wir, gerade hier in unserer Region, soviel Wohlstand zur Verfügung haben. Das sollte uns dankbar machen und nicht selbstgefällig. Es sollte uns aufmerksam machen und verantwortungsbewusst.
 
Als die Hirten die Botschaft vom göttlichen Kind, in Windeln gewickelt, gehört hatten, da wurden sie: Erstens: neugierig und zweitens: aktiv.
 
„Sie gingen hin, um die Geschichte zu sehen“, die Gott ihnen kundgetan hatte. „Und als sie das Kind gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kind gesagt war.“
 
2012 Jahre nach Christi Geburt ist die Botschaft bei uns angekommen. Sie macht uns immer noch neugierig, weil wir wissen, dass unsere Welt auch heute noch die Nähe und den Frieden Gottes braucht.
 
Wenn auch wir aktiv werden, dann können wir – im Namen Gottes – ein wenig dazu beitragen, den Frieden Gottes in unser Leben und in unsere Welt zu bringen: Mach’s wie Gott, werde Mensch.
 
Amen.