Nürnberg
Pompöse Renaissance-Insel

Das mondäne Tucher-Schloss im Herzen der Nürnberger Altstadt lädt Besucher gratis ein

19.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:37 Uhr
Savoir vivre: Leben wie Gott in Frankreich geht jetzt auch in Franken. Jeden Dienstag und Mittwoch können Genießer wie Dieter die prachtvolle Oase im Nürnberger Tuchergarten neuerdings gratis nutzen. −Foto: Pelke

Nürnberg - Auch Dieter hat Wind bekommen von dem "grünen Geschenk" der Museen der Stadt Nürnberg. "Sobald ich durch das Eingangstor schreite, verwandelt sich plötzlich komplett die Welt", schwärmt der pensionierte Musiklehrer von der blaublütigen Atmosphäre im Garten der wohl berühmtesten Nürnberger Patrizierfamilie.

Der nach Stilkriterien der Renaissance neu angelegte Tuchergarten gleicht einer pompösen Renaissance-Insel in der Sebalder Altstadt. Zwischen Hirsvogelsaal und Schloss ist der von Sandsteinmauern und Buchenhecken umgebene Tuchergarten eine grüne Glückseligkeit inmitten des eng bebauten Egidienviertels.

Die Vorzüge dieser Top-Lage weiß auch Dieter zu schätzen. "Hier ist alles so frisch, grün und rein. Wo gibt es so etwas sonst mitten in Nürnberg?", fragt sich der Tuchergarten-Fan und lästert über die nahe gelegenen Gärten rund um die Kaiserburg. Dort dröhnten dem ehemaligen Musiklehrer die vorbei brausenden Autos zu sehr in den empfindlichen Ohren. Im Schlossgarten herrsche dagegen trotz der zentralen Lage eine "unglaubliche und fast schon absolute Stille".

Tatsächlich haben sich an diesem Nachmittag nur wenige Genießer in der grünen Oasen verlaufen. "Neulich waren drei Damen hier und haben gemeinsam Kuchen gegessen", erzählt Dieter und zeigt auf die luxuriöse Bank neben dem Springbrunnen. "Die Königin von den Niederlanden ist auch schon mal hier gewesen", mischt sich der freundliche Gartenaufseher ein und bekommt leuchtende Augen vor lauter Máxima-Bewunderung. Außer Vogelgezwitscher und Wasserplätschern ist an diesem Sommertag freilich wenig los. Aber das muss ja nicht schlecht sein. Eleganz macht eben einsam. Kurz: Adel verpflichtet.

Die Vorzüge der feinen Adresse haben die betuchten Patrizierfamilien reihenweise zu schätzen gewusst. Früher ist die Gegend so etwas wie das mittelalterliche Erlenstegen für die Reichen mit dem großen Geldbeutel gewesen. In dem gefragten Quartier entlang der Hir-schelgasse haben unter anderem die Imhoff, die Hirsvogel und selbstverständlich auch die Tucher ab dem frühen 16. Jahrhundert stadtnahe Nobelhütten gebaut. Zuvor waren in der Gegend die Arbeiten am äußeren und bis heute letzten Mauerring beendet worden. Wo früher vor den Stadttoren also das Vieh weidete, erstrecke sich nun bestes Bauland im Schutz der sicheren Mauern. Die logische Folge: Zahlreiche, in der beengten Altstadt lebende Patrizierfamilien, kauften ab Ende des 15. Jahrhunderts dort massiv Grundstücke auf.

Von den verheerenden Bombenangriffen im Januar 1945 war leider auch das gesamte Tucher'sche Anwesen betroffen. Neben dem Haupthaus ist damals auch der weitläufige Schlossgarten zerstört worden. Erst in den 60er-Jahren hat der Wiederaufbau der einstigen Sommerresidenz auf Initiative des Bankiers Hans Christoph von Tucher begonnen.

Der heutige "neue" Schlossgarten ist zum Stadtjubiläum im Jahr 2000 nach den Plänen des Nürnberger Landschaftsarchitekten und Stadtplaners Bernard Lorenz entstanden. Ausgangspunkt für die von Lorenz entwickelte neue Gartengestaltung sind Luftaufnahmen vor der Zerstörung im Weltkrieg gewesen. Lorenz schwebte eine Gartengestaltung im Stil der Renaissance vor mit vielen Blühpflanzen wie Rosen, Akeleien, Lilien und Tulpen. Daneben hat Lorenz viele Gräser, Wild- und Küchenkräuter gepflanzt.

So ist bis heute eine wundervolle Mischung aus Zier- und Nutzgarten zu sehen, die in Nürnberg ihres gleichen suchen dürfte. Ursprünglich hatte Lorenz auch noch ein Café plus Labyrinth, Pavillon und Orangerie zur Überwinterung von Kübelpflanzen in dem Garten geplant. Aus Kostengründen sind diese tolle Pläne allerdings bislang leider noch nicht realisiert worden. Stattdessen haben sich die Museen der Stadt jetzt immerhin dazu durchgerungen, den prachtvollen Garten für Besucher unter der Woche jeweils am Dienstag und Mittwoch gratis zu öffnen.

Die kostenlose Öffnung des Schlossgartens erfolgt vorerst "als Experiment" bis zum 28. Oktober. Wenn sich alle Garten-Liebhaber an die goldenen Regeln wie Anstand und Sauberkeit halten, wollen die Museen den "Garten für Alle" eventuell weiterhin kostenlos für Stadtbummler aus Nah und Fern aufsperren.

epd

Nikolas Pelke