Polnischer Erdogan

Kommentar

23.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:45 Uhr

Mit immer neuen Eskapaden zerschlägt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jede Chance, dass sein Land doch noch der Europäischen Union beitreten könnte - jedenfalls solange er am Ruder ist. Wie Erdogan einen einigermaßen funktionierenden Rechtsstaat in eine Diktatur verwandelt, scheint jenen Europäern recht zu geben, die über Jahre eine EU-Mitgliedschaft sabotiert hatten, oft in einer für die Türken demütigenden Weise.

Konservative taten das meist mit dem Argument, ein Land ohne christliche Tradition passe einfach nicht in die europäische Wertegemeinschaft.

Wie hohl diese Begründung ist, zeigt derzeit das zutiefst katholische Polen. Während der tobende Erdogan alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, installiert dort Jaroslaw Kaczynski mit seiner nationalkonservativen PiS Schritt für Schritt eine Einparteiendiktatur.

Selbst der Deutsche Richterbund, wirklich nicht für übereiltes Vorpreschen und als Scharfmacher bekannt, urteilte soeben, Polen verabschiede sich mit seiner sogenannten Justizreform als Rechtsstaat. Denn dieser jüngste Schritt auf abschüssigem Weg ziele auf eine politisch gelenkte Justiz, in der Richter und Staatsanwälte allein von der Regierungspartei PiS und deren höchst eigenartigen Chef Kaczynski abhängen.

Tatsächlich kann nur ein unabhängiges und funktionierendes Rechtswesen einen Staat in vernünftigen Bahnen halten, während demokratische Spielregeln dafür keine Gewähr bieten, wie die Ergebnisse von Wahlen in Russland, der Türkei, den USA und Polen zeigen.

Unterdessen hat in der Nacht zum Samstag in Warschau der PiS-dominierte Senat - wie zuvor schon das Parlament - der Justizreform zugestimmt. Jetzt könnte nur noch Staatspräsident Andrzej Duda den Wahnsinn stoppen. Allerdings war der bis zu seinem Amtsantritt selbst PiS-Mitglied und gilt als Präsident von Kaczynskis Gnaden.

Nun wäre Polen natürlich nicht die erste Diktatur, aber das Land ist Mitglied der Europäischen Union, die nicht nur seit Jahren Abermilliarden in das Land pumpt, um die dortige Wirtschaft und Infrastruktur zu sanieren, sondern sich auch als Bollwerk des Rechts in einer traurigen Welt versteht. Allenthalben wird deshalb nun überlegt, die schärfste aller EU-Waffen gegen ein Mitglied auszupacken und Polen das Stimmrecht im Europäischen Rat zu entziehen. Allerdings müssten dem alle anderen EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Und das hat Ungarns Regierungschef Viktor Orbán - von ähnlichem Kaliber wie Kaczynski, nur wesentlich geschickter - bereits strikt ausgeschlossen.

Die EU bezahlt einmal mehr für einen ihrer schweren Konstruktionsfehler und wird weiter mit Polens derzeitiger Regierung unter der Fuchtel Kaczynskis leben müssen. Denn dass man ein Mitglied hinauswirft, das ist in diesem ausschließlich auf Wachstum angelegten Verein einfach nicht vorgesehen.