Riedenburg
Pflegesystem in der Kritik

Expertenrunde diskutiert in Riedenburg über Macken und falsche Ansätze in Deutschland

04.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:57 Uhr

Fachleute auf dem Podium: In Riedenburg diskutierten unter Moderation von Martin Lindner (v.l.) Darinka Frommelt, Josef Troidl, Martna Rosenberg, Claus Fussek und Markus Prestin über Fehler im Pflegesystem und mögliche Lösungsansätze - Foto: Janda

Riedenburg (sja) Die Anforderungen steigen, der Stellenwert jedoch nicht. Die Probleme bei der Pflege standen am Mittwochabend bei einer Diskussionsrunde in Riedenburg im Mittelpunkt. Eine Patentlösung hatten die Fachleute dabei allerdings nicht parat.

Es ist eine Situation, mit der sich jeder konfrontiert sehen kann. Plötzlich kann sich ein naher Verwandter nicht mehr selbst versorgen, gleitet mit zunehmendem Alter in die Demenz und wird zum Pflegefall. Doch was tun? Selbst pflegen? In ein Heim geben? Genau diese Fragen stellte sich Martina Rosenberg, als ihre Eltern schwer erkrankten. Sie entschied sich letztlich für die Pflege daheim und entschloss sich nach langem und aufreibendem Engagement dazu, ihre Erfahrungen im Buch „Mutter, wann stirbst du endlich“ zu verarbeiten – samt all der negativen und oft verschwiegenen Aspekte. „Ich hatte damals das Gefühl, dass man einfach mal sagen muss, dass Pflege nicht so toll ist – denn nicht jede Tochter kann auch richtig pflegen“, erklärte sie bei der Podiumsdiskussion.

Das Interesse an Rosenbergs Geschichte und den Ausführungen der anderen Experten stieß in Riedenburg auf großes Interesse. Mehr als 100 Besucher kamen zu dem Diskussionsabend, darunter auch zahlreiche Politiker aus Stadt und Umland.

Die Arbeit mit ihren Eltern schilderte die Buchautorin als totalen Bruch im Alltag. Und als Engagement, das Gesellschaft und Staat ihrer Meinung nach unzureichend würdigen – vor allem finanziell. Als Beispiel nannte sie das Pflegegeld. „Warum bekommt jemand mit Pflegestufe drei zu Hause rund 600 und im Heim 1500 Euro“

Eine Antwort darauf hatten weder die anderen Podiumsgäste noch die vielen Politiker im Publikum. Sie sahen die ungerechte Verteilung von Geld und Leistungen als gesellschaftliches Problem. „Das ist eine gespenstische Diskussion, die wir hier seit Jahren führen“, sagte Claus Fussek. Nach Meinung des Bad Tölzers, der sich mit der Pflege Angehöriger aus eigener Erfahrung auskennt und mehrere Bücher zum Thema verfasst hat, gibt es in Deutschland kein wichtigeres Thema – und wohl auch keines, bei dem seit Jahren derart wenig passiert ist. Er hielt etwa einen Ausbau der Pflegeversorgung ähnlich dem der Krippenplätze in Deutschland für nötig. Gleichzeitig forderte er, den Pflegebedarf nicht mehr nach Minuten zu berechnen. In Deutschland gebe es nicht einen Menschen, der nach der Stechuhr gepflegt werde. „Aber wir müssen mit diesem Blödsinn leben“, schimpfte Fussek. Sein Engagement für ein gerechtes System glich manchmal jedoch einem Kampf gegen Windmühlen. „Damit dringt man in der Gesellschaft nicht durch“, sagte er in Richtung der Politiker. Das bestätigte Darinka Frommelt, die Organisatorin des Abends.
 
Zunächst fehlt es jedoch am Umdenken in den Köpfen. „Wir müssen auf die Barrikaden gehen“, forderte der Regensburger CSU-Stadtrat Josef Troidl, der sich in der Donaustadt ehrenamtlich für bedürftige Menschen engagiert. Rosenberg stimmte zu: „Die Gesellschaft muss die Änderungen von der Politik einfordern.“ Aber warum werden die Volksvertreter nicht von sich aus tätig? Darauf hatte Versicherungsfachmann Markus Prestin eine simple Antwort. „Das Thema macht sich nicht gut auf Wahlplakaten“ sagte er. „Es ist unsexy.“