Pferderennen und Biergelage

13.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:52 Uhr

München (DK) 200 Jahre Oktoberfest ist "das" Ausstellungsthema im Münchner Stadtmuseum. Dass dabei auch mit einigen Mythen aufgeräumt wird, macht die Schau interessant und spannend. Zum Beispiel war die sogenannte Wiesn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kein Biergelage, sondern ein Sportfest mit Landwirtschaftsausstellung. Vor allem Reiter des Pferderennens, Schützen, Nutztiere und Produkte wurden ausgezeichnet und von der Stadtbevölkerung bewundert. Erst um 1900 sollte sich das ändern, weil man hölzerne Almhütten aufstellte, in denen etwa 50 Menschen Platz fanden. Die neue Idee mit dem Bierausschank kam so gut an, dass 1913 die Bräu-Rosl ein Zelt für 15 000 Gäste aufstellen ließ und den Zehnliterkrug ausschenkte – eine Hybris, die selbst in heutigen Zeiten erstaunt.

27 Jahre lang hat Ausstellungskurator Florian Dering für sein Haus gesammelt, nun präsentiert er auf zwei Etagen sein Lebenswerk – Historisches und Kurioses, Wertvolles und Schrilles, meist aus dem Depot des Hauses. Ein Bierfass von 1829, königliche Fahnen, originale Marschmusik und Uniformen repräsentieren die ersten hundert Jahre des Festes. Auch darin räumt Dering mit einem Märchen auf: Nicht König Max I. Joseph hat das Oktoberfest angeordnet, sondern das Volk huldigte damit dem König.
 

Der Anlass

Anlass war die Trauung von Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese am Freitag, 12. Oktober 1810 – leider wird das Brautkleid aus dem Bayerischen Nationalmuseum nicht gezeigt. Für Mittwoch, 17. Oktober, bat die Bürgerwehr den König dann um Erlaubnis, ein Pferderennen abhalten zu dürfen. "Volksfeste freuen mich besonders. Sie sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindeskinder vererbt", soll Kronprinz Ludwig befunden haben. Diesem Zitat stehen Bilder von heute gegenüber: Junge Menschen in modischer Tracht, die um eine Fischsemmel und einen Platz im Bierzelt anstehen.

Vor 200 Jahren jedoch, das zeigen zahlreiche Gemälde, war die Wiese weit und leer. Start der Pferderennbahn war das Königszelt, das mit Mondsicheln bekrönt war – auch diese haben die Zeiten überdauert und sind ausgestellt. Und weil das Rennen so gut ankam, begann man schon im nächsten Jahr mit einer Wiederholung. Das Fest wandelt sich, und schon 1862 kommentiert ein Holzstich: "Der echte Vollblut-Münchner lässt Anfang und Glanzpunkt des Festes in behaglichem dolce far niente (Nichtstun) vorübergehen" – und zeigt Betrunkene, die ihren Rausch im Gras ausschlafen. 1898 erfindet der Selbstdarsteller Georg Lang das "Oans, zwoa, gsuffa" und schenkt sein Nürnberger Bier aus – auch die moderne Mär, dass stets nur Münchner Wirte ausschenken durften, wird entlarvt.

Der modernen Wiesn von heute, dem Wiesn-Wahnsinn, zu dem rund sechs Millionen Besucher pilgern, nähert sich die Ausstellung im zweiten Teil. Im originalen Spiegelkabinett kann sich der Besucher verzerren lassen, die Guillotine erinnert an alle Geköpften, die bis heute beim Schichtl auf die Bühne klettern, und in der kleinsten Vitrine sind die Werkzeuge des Flohzirkus zu sehen. Daneben wirbelt ein Geisterbahn-Skelett Luxusdirndl mit Totenköpfen und Goldglitter durcheinander, die über einem Laufsteg von 650 Maßkrügen schweben – zehntausend Mal werden sie alljährlich gefüllt. Der Anstich durch Oberbürgermeister Ude läuft als Endlos-Video über den Biertischen und auch die Kehrseite der Wiesn mit Glasscherben und Bier-Koma wird dokumentiert.

Kaum Unterbrechungen

Nur selten in diesen 200 Jahren wurde das Fest ausgesetzt: In Kriegszeiten, bei Cholera-Epidemien und während der Inflation. Zuletzt war 1980 beim Anschlag auf das Oktoberfest einen Tag Pause. Diese Unterbrechungen wären eine eigene Ausstellung wert – nicht aber im Jubiläumsjahr. Die Geräuschkulisse der Schau nimmt vorweg, wie die Wiesn ab 17. September wieder toben wird: Lauter, bunter, schneller. König Ludwig würde sich wohl wundern über diesen "Nationalcharakter".