Pfaffenhofen
Pfaffenhofener Firmen: Mit Wucht in die Offensive

Raus zum Kunden: Wie Firmen es schaffen, gut durch die Corona-Krise zu kommen

28.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:28 Uhr
Jetzt erst recht: Martin Jais (links) und Harald Lohmeier haben in eine neue Schweißmaschine investiert. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen - Es steht jeden Tag in der Zeitung: Corona setzt der Wirtschaft zu, verhagelt Bilanzen, Handel und Gewerbe schicken ihre Belegschaft in Kurzarbeit, ganze Branchen stehen am Abgrund. Selten dagegen wird über Firmen berichtet, die sich gegen den Abwärtstrend stemmen, investieren und gut durch die Krise kommen. Aber es gibt sie - und sie lassen staunen.

 

Der Anlagenbauer Jais ist ein solches Unternehmen. Der Mitterscheyrer Betrieb stellt vor allem Druckbehälter aus Edelstahl her, fertigt ganze Anlagen für die Getränke-, Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Im Januar hatte Martin Jais seine Firma aus Altersgründen und um deren Fortbestand zu sichern an Harald Lohmeier verkauft. Kaum auf dem Chefsessel kam Corona. "Wie wohl jeder", sagt der 45-Jährige, "hab' ich gedacht: Oh Gott, jetzt bricht das Geschäft weg." Nicht nur, weil sich seine Kunden zurückhalten, sondern vor allem wegen der Ansteckungsgefahr in der Belegschaft. Im Ernstfall hätte er alle 14 Mitarbeiter in Quarantäne schicken und die Produktion stoppen müssen. Eine Katastrophe. Sein Ausweg: Er hat zwei Teams gebildet, die unabhängig voneinander an der Werkbank und in den Büros gearbeitet haben, sich auf dem Firmengelände nicht begegneten und auch keinen Kontakt zueinander hatten. "Die Fertigung", sagt Martin Jais, der noch als Prokurist und technischer Leiter mitarbeitet, "war so zu keiner Zeit gefährdet." Zwei Verdachtsfälle gab es; diese beiden Mitarbeiter hatten Kontakt zu Infizierten. Lohmeier hat sie freigestellt und den Lohn weiterbezahlt.

Was hilft gegen die Angst vor dem Abstieg? Bei Jais ist man "mit Wucht", sagt der neue Inhaber, in die Offensive gegangen, hat einen neuen Kunden akquirieren können, einen Global Player der Pharma-Industrie, hat den bestehenden Kundenstamm noch intensiver betreut und in die Qualitätssteigerung investiert: Für 30 000 Euro wurde eine Orbital-Schweißmaschine angeschafft, deren Schweißkopf elektronisch gesteuert um zwei Rohrenden herumfährt und sie mit einer nahezu unsichtbaren Naht von höchster Qualität verbindet. Diese Anlage erlebte bereits ihre erfolgreiche Feuertaufe bei einem lokalen Pharmaziekunden, den Jais als Haus- und Hoflieferant schon seit vielen Jahren bedient. Von der wirtschaftlichen Entwicklung ist auch Jais nicht verschont geblieben. Der Umsatzrückgang im einstelligen Bereich sei allerdings verschmerzbar, sagt Lohmeier.

Dennoch, die Angst vor den Auswirkungen einer zweiten Coronawelle dämpft den Optimismus. Es kommt zu Verzögerungen in den Zulieferketten. "Wir müssen immer wieder nachfragen, wo die Lieferung bleibt", sagt Jais, "ständig Kontakt zu unseren Endkunden halten und möglicherweise Abnahmetermine verschieben. Der Kommunikationsbedarf ist enorm gestiegen."

Gestiegen ist allerdings auch das Engagement der Belegschaft: "Die arbeitet mit hohem Einsatz und steht voll hinter uns", freut sich der alte und der neue Chef. Und deshalb sei es jetzt angesagt, einmal aus ganzem Herzen Danke zu sagen.

 

Wer jetzt in der Krise sein Unternehmen über Personalabbau versucht zu sanieren, ignoriert das Potenzial, das in der Belegschaft steckt. Dieser Überzeugung ist der Unternehmensberater und ProWirtschaft-Vorsitzende Martin Bornemann. Er sieht in der Krise mindestens so viele Chancen wie Risiken (siehe Kasten). "Corona kann für Unternehmer ein Antrieb sein, neu nachzudenken: Sollte ich mein Geschäftsmodell noch besser auf meine Kunden ausrichten? Ist jetzt nicht die Zeit für radikale Entscheidungen, etwa konsequent in die Digitalisierung meines Betriebs einzusteigen? Und: Nutze ich eigentlich die Kreativität und die Ideen meiner Mitarbeiter, die oft näher am Kunden sind als ich?" "Geh raus auf den Marktplatz", ermuntert Bornemann jetzt in der Corona-Zeit jeden Unternehmer, "und schau, was die Leute brauchen. Das entwickelst du - und dann verkünde, dass du es hast." Das sei der Marketing-Dreisatz.

Partnerschaften pflegen - dieser These schließt sich der Pfaffenhofener Maschinen- und Anlagenbauer Jan Hecht an. Vor wenigen Wochen hat er in Pörnbach einen zweiten Standort (Investitionsvolumen: acht Millionen Euro) bezogen. Hier entwickelt er mit 110 Mitarbeitern Systeme, die Schüttgut dosieren und abfüllen. Wer dabei an Sand oder Kies denkt, liegt daneben: Die hoch komplexen und digital gesteuerten Edelstahl-Geräte werden etwa in der Pharma- oder Kosmetik-Industrie gebraucht, um die größtenteils pulverförmigen Ausgangsmaterialien für Cremes oder Tabletten hygienisch und passgenau abzufüllen und zu mischen.

Hecht sieht sein Unternehmen "im gesicherten Mittelfeld" - irgendwo zwischen der absturzgefährdeten Gastronomie und den "Swimmingpool-Herstellern", deren Absatzzahlen durch die Decke gehen, weil die Leute in der Pandemie lieber daheim planschen als im öffentlichen Freibad. "Bisher haben wir's gut geschafft, durch die Krise zu kommen", sagt Jan Hecht, "wir haben langläufige Aufträge und eine gute Auslastung. Die Frage ist, wie lange es noch gutgeht." Denn sein Geschäft hängt auch von der Investitionsfreudigkeit seiner Kunden ab, und deren Stimmung richte sich nach der Weltwirtschaft. "Und derzeit ist die ganze Welt chaotisch", glaubt Hecht. "Wir spüren eine gewisse Zurückhaltung, die Firmen halten das Geld fest. Unser Unternehmen hat ein paar Prozentpunkte eingebüßt. Das wird kein sehr gutes Geschäftsjahr." Aber immerhin: Hecht musste niemanden entlassen, ja noch nicht einmal Kurzarbeitergeld beantragen.

Seine Strategie in der Krise? "Ich habe kein Geheimrezept", räumt der Firmenchef ein, "aber jetzt ist die Zeit, an Partnerschaften zu arbeiten." Bedeutet: den Kontakt mit Zulieferern und Kunden zu intensivieren. Früher traf man sich auf Messen, aber die sind allesamt abgesagt worden. Deshalb hat Hecht das Motto ausgegeben: "Wenn du nicht zu uns kommen kannst, dann kommen wir zu dir." Neben der Werkhalle steht ein Lkw-Anhänger. Auf den packen Hechts Mitarbeiter ihre Maschinen und Anlagen, fahren sie zur Kundschaft und präsentieren sie auf deren Firmengelände. In Nordrhein-Westfalen soll die Roadshow starten und dann aufs gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden.

Vieles, hat Hecht die Erfahrung gemacht, lässt sich per Video-Konferenz besprechen und erledigen. Selbst die Abnahme einer kompletten Anlage für ein Unternehmen in den USA wurde mit drei Kameras erledigt, die alle Winkel des Systems ausleuchteten. Früher wäre eine US-Delegation mit dem Flieger angereist. Die Abnahme habe einen ganzen Tag in Anspruch genommen, "aber es hat funktioniert", so Jan Hecht, der vom Erfolg seiner langfristigen Maßnahmen überzeugt ist. Und deshalb lässt er sich von Corona nicht in die Defensive drängen und den Schneid abkaufen. "Mainstream oder toller Hecht" steht auf einem Stadtbus zu lesen - keine Marketing-Maßnahme für Schüttgut-Systeme, sondern Personal-Werbung: Hecht sucht weiterhin neue Mitarbeiter, den wirtschaftlichen Pandemie-Auswirkungen zum Trotz.

PK