Ingolstadt
Perspektivwechsel im Festsaal

Das Stadttheater Ingolstadt bringt das Flüchtlingsschicksal des Georgischen Kammerorchesters auf die Bühne

11.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:04 Uhr

Theater statt Konzert: Schauspieler des Stadttheaters Ingolstadt spielen die Geschichte des Georgischen Kammerorchesters nach, fünf ehemalige Orchestermitglieder begleiten das Geschehen musikalisch. Szene aus dem Stück "Die Georgier". - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Verkehrte Welt: Diesmal sitzen die Musiker des Georgischen Kammerorchesters nicht auf der Bühne des Ingolstädter Festsaals, sondern im Zuschauerraum. Und auf dem Podium sind die Sitzreihen für das Publikum angebracht. Und diesmal spielen die Georgier nicht Meisterwerke der klassischen Musik, sondern sie präsentieren zusammen mit Schauspielern des Stadttheaters Ingolstadt sich selbst, ihre eigene Geschichte.

Die Georgier probieren den Perspektivwechsel. Sie richten den Fokus von der großen Musikliteratur auf ihr eigenes Schicksal. Am nächsten Dienstag ist Premiere. Titel des neuen Stücks: "Die Georgier."

Für den Geiger Viktor Konjaev, der als Mitglied des Orchesters nach Ingolstadt auswanderte, bald aber zum Münchner Kammerorchester wechselte, ist das Theaterprojekt vor allem Aufklärung: "Die Menschen hier sollen unsere Geschichte kennen", sagt er.

Für die Göttinger Theatermacher Werkgruppe2, die das Stück geschrieben und inszeniert haben, geht es um noch mehr: Sie wollen von gelungener Integration erzählen. "Dieser Abend ist für uns auch eine Art Folie", erläutert Regisseurin Julia Roesler. "Wir wollen eine Geschichte von Flüchtlingen erzählen, etwas, was unser Land gerade besonders bewegt."

Die Werkgruppe2 ist seit zehn Jahren auf Dokumentartheater spezialisiert. Sie hören sich an, was Menschen zu erzählen haben, und machen daraus Theaterstücke. So brachten sie etwa das Schicksal von Soldaten auf die Bühne oder beschäftigten sich mit polnischen Pflegekräften in Deutschland.

Für das Georgier-Stück haben sie rund 20 Interviews mit fast allen Orchestermitgliedern geführt. Die Gespräche wurden hinterher transkribiert - und zwar so penibel wie möglich, mit allen Pausen und allen sprachlichen Eigenarten und Unzulänglichkeiten. "Wir haben dann die Episoden markiert, die uns am wichtigsten erschienen. Manchmal haben wir Passagen nur ausgewählt, weil sie in einer bestimmten Art und Weise erzählt wurden", erzählt die Dramaturgin Silke Merzhäuser. Und daraus haben sie, Julia Roesler sowie die Dramaturgin Rebecca Reuter schließlich das Stück für das Stadttheater destilliert.

Die Musik dazu hat Nikoloz Shamugia, Cellist des Orchesters, zusammengestellt und komponiert. Einige Georgier wirken als Musiker im Stück mit. Sie haben die Emigration nach Deutschland miterlebt, haben aber inzwischen als Rentner ihren aktiven Dienst bereits eingestellt.

Die Georgier bei den Proben immer gegenwärtig zu haben ist für Julia Roesler und Silke Merzhäuser ein ungewohntes Gefühl. "Man fühlt sich besonders verantwortlich", sagen sie. Denn Inszenierung und Stück werden ständig von den Interviewten kontrolliert und bewertet - "das kann man manchmal bereits an einem Blick ablesen". Immer wieder wird selbst über einzelne Begriffe diskutiert. Was ist zu wenig emotional, was zu ironisch? Den Georgiern ist besonders wichtig, dass ihre Dankbarkeit gegenüber der Stadt Ingolstadt und ihren Bürgern mit aller Ernsthaftigkeit herauszuhören ist.

Für die drei Autoren des Georgier-Stücks ist die Produktion lehrreich. "Man kann verblüffend einfach ablesen, was für eine gelungene Integrationsarbeit wirklich relevant ist", sagt Roesler. Zum Beispiel das Thema Sprache. Derzeit werde viel darüber diskutiert, dass Sprachkompetenz Voraussetzung des Integrationserfolgs sei. "Das stimmt aber einfach nicht", sagt die Regisseurin. Die Georgier haben niemals Sprachunterricht erhalten, die Musiker der ersten Generation haben auch heute noch Probleme, sich ohne die Hilfe ihrer Kinder hinreichend perfekt zu verständigen. Und doch: Sie sind in Deutschland und Ingolstadt angekommen, weil sie von Anfang an hier arbeiten konnten und weil sie sich durch Freundschaften in der Region vernetzen konnten.

Die drei Theatermacher sind spürbar begeistert von den Orchestermusikern. Von der Offenheit und Freude, den guten Ideen. "Das sind wirklich fantastische Musiker", sagt Merzhäuser. "Dieses Orchester ist ein Schatz für diese Stadt", sagt sie, auch wenn das hier manchmal zu wenig bemerkt werde. "Es funktioniert alles ganz gut. Aber man bräuchte für dieses Orchester eigentlich eine größere Vision als die, die man derzeit gefunden hat."

Uraufführung am 15. November, 20 Uhr, Ingolstädter Festsaal. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00. Infos unter theater.ingolstadt.de.