Zell
Paramentenstickerei schließt die Pforten

Tradition bei Regens Wagner Zell geht nach 144 Jahren zu Ende Ausverkauf läuft

05.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

Foto: Monika Meyer

Zell (HK) Eine Tradition geht zu Ende. Seit Regens Wagner in Zell hörgeschädigten Menschen ein Zuhause und eine Beschäftigung bietet, hat es die Paramentstickerei gegeben. Die Werkstatt für kirchliche Textilien muss nach 144 Jahren schließen. Es fehlt Nachwuchs.

Der langgezogene Saal im vierten Stock des Hauptgebäudes hat eine besondere Atmosphäre. Überall liegen kostbare Stoffe auf den Tischen, der Raum ist vollgestellt mit Nähmaschinen und Schränken und es herrscht angespannte Konzentration und Stille. Die Arbeit ist anspruchsvoll, "man braucht motorisches Geschick, Gespür für Farben und viel Geduld", weiß Silvia Gradl.

Sie darf sich Stickermeisterin nennen, hat als Jugendliche diesen Beruf in Würzburg gelernt. 2007 kam sie als Fachkraft nach Zell. Noch länger - seit 1996 - arbeitet ihre Kollegin in der Werkstatt: die Damenschneiderin Rita Pfahler aus Solar.

Trotzdem nimmt sich deren berufliche Laufbahn bei Zell bescheiden aus gegen den Einsatz dreier Frauen, die schon längst das Rentenalter überschritten haben: Marga Ries (73), Mathilde Fruth (77) und Maria Dengscherz (78) arbeiten bis zu 60 Jahre in der Stickerei. Noch immer kommen die drei gehörlosen Frauen täglich in den vierten Stock, um einige Stunden zu nähen und zu sticken. Denn die Kunden, unter ihnen viele Priester, Ministranten und Pfarrgemeinden, wollen schließlich beliefert werden.

Herrlichste Gewänder sind bei Regens Wagner schon entstanden. Zum Beweis greift Einrichtungsleiterin Heike Klier zu einem Kleiderbügel, auf dem ein kunstvolles Priestergewand hängt. Ein großes Kreuz umschließt eine in harmonischen Farben gestickte Marienfigur. "Das ist wie Zeichnen mit der Nadel", erklärt Silvia Gradl diese Technik. Die römische Stola sei vor vielen Jahren von Gehörlosen mit einer Kurbelstickmaschine hergestellt worden.

Mit der Fertigung von Gewändern und Tischwäsche vor allem für den kirchlichen Gebrauch hat sich Regens Wagner seit 1872 einen Namen gemacht. Damals hatte Johann Evangelist Wagner das Schloss in Zell für 8888 Gulden gekauft. Er war bekannt für sein unermüdliches Engagement für diejenigen, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt wurden und er gab taubstummen Mädchen eine neue Heimat.

Praktisch unmittelbar nach dem Einzug begann man mit dem Aufbau der sogenannten Versorgungsanstalt mit Hilfe von Dillinger Franziskanerinnen - zunächst mit der Fertigung von kirchlichen Textilien, einer Abteilung, die bis heute fortgeführt wurde. Ein Schultervelum für die Pfarrkirche Zell, ein weiteres für Laibstadt sowie vier Messkleider waren der erste Auftrag.

Doch damit ist jetzt Schluss. Die drei Frauen, die freiwillig ein paar Stunden am Tag arbeiten, freuen sich auf ihren Ruhestand. "Die Arbeit macht Spaß", sagt Marga Ries, aber traurig sei sie trotzdem nicht. "Jetzt ist Schluss", stellt sie pragmatisch fest. "Es ist genug", pflichtet ihr Maria Dengscherz bei, die schon viele Ministrantengewänder genäht hat. "Denn manchmal tut mir der Rücken weh", sagt sie.

Nachwuchs für die diffizile Arbeit ist laut der Einrichtungsleiterin Heike Klier nicht in Sicht. Denn viele Beschäftigte könnten die feinmotorisch anspruchsvolle Arbeit aufgrund ihrer körperlichen Behinderung gar nicht ausführen, erklärt Klier. Zwar habe man es mit Praktika versucht, aber es hätten sich keine geeigneten Mitarbeiter gefunden. "Wir schließen schweren Herzens", sagt Klier, aber es sei ein notwendiger Schritt. Denn Regens Wagner sei kein Wirtschaftsbetrieb, sondern für die Beschäftigung und Betreuung von Menschen mit Behinderung zuständig.

"Es war ein tolles Arbeiten hier, ich werde es vermissen", sagt Silvia Gradl bedauernd. Sie hat eine Stelle in der Paramentenstickerei der Diakonie Neuendettelsau gefunden, ihre Kollegin Rita Pfahler muss leider ihren Traumberuf als Schneiderin aufgeben und wechselt in die Wäscherei von Regens Wagner. Und in den Saal der Paramentenstickerei wird bald eine Arbeitsgruppe mit Montagearbeiten einziehen. Bis zum 15. Juli läuft der Ausverkauf von Messgewändern, Ministrantenröcken, Trachten sowie allerlei Tischwäsche und Stoffen.