Peutenhausen
Paketfahrer bleibt in U-Haft

Amtsgericht Neuburg gibt Fall des totgefahrenen Fußgängers bei Peutenhausen ans Landgericht ab

17.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:49 Uhr
Am Straßenrand alleine gelassen starb am 25. Januar an der alten B300 (oben) ein 65-jähriger Mühlrieder. Der 32-jährige Transporterfahrer, der den Mann im Dunklen tödlich verletzt hatte, musste sich gestern vor dem Amtsgericht Neuburg (unten) verantworten. Das gab den Fall ans Landgericht Ingolstadt ab. −Foto: Spindler

Peutenhausen / Neuburg (SZ) So hatten sich das gestern Vormittag der 32-jährige Paketfahrer und sein Verteidiger wohl nicht vorgestellt: Aus der angeklagten fahrlässigen Tötung wurde ein versuchter Totschlag durch Unterlassung.

Darum hatte das Schöffengericht am Amtsgericht Neuburg gestern den Fall des im Januar bei Peutenhausen an der alten B300 totgefahrenen Fußgängers an die Schwurgerichtskammer beim Ingolstädter Landgericht abgegeben. Dort soll der Fall neu verhandelt werden.

Für den vorsitzenden Richter des Schöffengerichts, Christian Veh, war nach gut dreistündiger Verhandlung klar, dass der 32-jährige Moldawier Andrej S. (Namen von der Redaktion geändert) am 25. Januar die Unfallstelle zwischen Schrobenhausen und Peutenhausen verlassen hatte, um seine Spuren zu verdecken. Veh sagte klar, dass der Paketfahrer vor allem unentdeckt bleiben wollte. Alle Aussagen des Mannes, er hätte Hilfe holen wollen, sah Veh als unwahr an. Andrej S. hätte mehr als genug Möglichkeiten gehabt, gleich nach dem Unfall Hilfe zu holen und habe sie ausgelassen.

Veh versuchte in der Verhandlung vor allem die Umstände des Unfalls auf dem parallel zur B300 verlaufenden Anwandweg zu klären. Andrej S. , der in gebeugter Haltung vor dem Richtertisch saß und mit brüchiger Stimme in Rumänisch sprach, sagte: "Es tut mir sehr leid, ich möchte mich entschuldigen. " So übersetzte es eine Dolmetscherin simultan.

Am Morgen des 25. Januar habe er seine Nachsicht beendet gehabt, so der 32-Jährige, der seinen moldawischen Führerschein in Rumänien in eine EU-Fahrerlaubnis verwandelt hatte. Auf dem Heimweg nach Augsburg habe er mit seinem weißen Opel Movano im Dunkeln zwischen 6 und 6.30 Uhr plötzlich einen Knall gehört. Angeblich hatte er vermutet, dass er ein Tier angefahren habe. Er sei ausgestiegen, habe sich umgeschaut. Er habe erst einen, dann einen weiteren Schuh und etwa vier Meter vom Straßenrand entfernt einen Mann gefunden. Der habe noch gelebt, so der Moldawier weiter, er habe den 65-jährigen Mann sogar mittels Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbeleben wollen. Andrej S. will dabei noch festgestellt haben, dass die Wirbelsäule des Unfallopfers nicht mehr intakt gewesen sei. Er habe den verletzten Mann näher an den Straßenrand gezogen, in der Hoffnung, dass vielleicht andere vorbeifahrende Personen Hilfe holen würden.

In Panik und unter Schock habe er gegen 7.30 Uhr einen Kollegen, Mateus P. , angerufen. Mit dem wollte er sich in Gallenbach bei Aichach treffen, um zur Unfallstelle zurückzukehren, Polizei und Rettungskräfte zu alarmieren. Als beide später zur Unfallstelle zurückgekehrt seien, hätten sie Polizei und Rettungskräfte gesehen. Andrej S. hatte sich von Mateus P. nach eigenen Worten nach Gallenbach zurückfahren lassen und sei von dort nach Hause gefahren.

Wie wenig Glauben das Gericht dieser Aussage schenken wollte, wurde bei der Befragung von Mateus P. deutlich. Der 24-jährige Arbeitskollege berichtete davon, dass Andrej S. von ihm zum Unfallort gebracht werden wollte. Mehr nicht. Angeblich hatte Andrej S. im Auto gesagt, er habe schon einige Teile des Unfallwagens eingesammelt und er wollte dort "die Angelegenheit regeln". Darüber hinaus habe S. die Vermutung geäußert, dass der angefahrene Mann bereits tot sein könnte. Veh wollte wissen, ob P. denn seinem Freund geraten habe, die Polizei anzurufen. Das habe er Andrej S. damals auch gefragt, sagte Mateus P. , S. habe aber Nein gesagt, wollte warten, was die beiden Freunde entscheiden würden.

Staatsanwalt Frank Nießer setzte nach. Wollte Andrej S. Spuren des Unfalls beseitigen, fragte er Mateus P. . Dabei wies er auf die Aussage des Freundes bei der Polizei hin. "Das habe ich bei der Polizei gesagt, das stimmt", übersetzte die Dolmetscherin die Antwort von Mateus P.

Was sich am Unfallort zugetragen hatte, belegten Aussagen von Zeugen und ermittelnden Polizisten. Demnach muss ich der Unfall gegen 6.52 Uhr zugetragen haben. Aufnahmen der Überwachungskamera eines nahe gelegenen Autohauses zeigten den Angeklagten, der schon mehrfach ohne gültigen Führerschein gefahren ist, wie er mit seinem Transporter gerade wegfuhr - der linke Scheinwerfer funktionierte nicht. Mehrere Zeugen haben den Transporter nach eigenen Angaben zwischen 6.50 und 7 Uhr am Straßenrand stehen gesehen - ohne Licht und Warnblinkanlage. Ein Mann hatte sogar angehalten, und den Mann am Transporter gefragt, ob er helfen könne. Der Transporterfahrer habe geantwortet: "Alles okay. " Darauf sei der Zeuge, der Andrej S. im Gerichtssaal aber nicht identifizieren konnte, weitergefahren.

Um 7.43 Uhr wurde die Schrobenhausener Polizei von einer vorbeifahrenden Frau über den leblosen Mann am Straßenrand informiert, die Streife war etwa sieben Minuten später am Unfallort. Das Opfer wurde ins Schrobenhausener Krankenhaus gebracht, wo es um 8.52 Uhr seinen Verletzungen erlag.

Veh verlas den Obduktionsbericht der Rechtsmedizin. Danach wurde der 65-Jährige aus Mühlried stammende und komplett in schwarz gekleidete Mann von hinten angefahren, erlitt zahlreiche Knochenbrüche im ganzen Körper. Eine sofortige medizinische Versorgung, so zitierte Veh, hätte demnach auch nicht mehr geholfen. Warum der Mühlrieder zu Fuß auf der Straße unterwegs war, ist unklar. Bekannt war bei der Schrobenhausener Polizei lediglich, dass der 65-Jährige gerne zu ungewöhnlichen Zeiten auf Straßen rund um Schrobenhausen spazieren gegangen war.

Veh sprach Andrej S. direkt an: "Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sie nicht an den Unfallort zurückgelehrt sind, um Hilfe zu leisten. " Darum komme bei der juristischen Bewertung auch ein Verbrechen infrage - versuchter Totschlag. Und dafür sei das Schwurgericht am Landgericht in Ingolstadt zuständig. Das deutete Veh auch schon zu Beginn der Verhandlung an. Verteidiger Michael Menzel sah das anders. Für ihn lag der Fall klar: Es handele sich um fahrlässige Tötung. Das Gericht zog sich für 20 Minuten zur Beratung zurück.

"Für heute ist die Sache erledigt", sagte Veh zum Angeklagten, "Sie bleiben selbstverständlich in Haft. " Nun muss sich das Landgericht mit dem Unfall und seinen Folgen beschäftigen. Nach Vehs Worten hätten sich die Zweifel des Gerichts daran, dass der Angeklagte Hilfe holen wollte, bestätigt. Dafür hätte es genügend Möglichkeiten gehabt, schließlich seien etliche Passanten vorbeigefahren. Einer habe sogar angehalten und Hilfe angeboten. Das habe Andrej S. nicht angenommen. Veh: "Es ging nur darum, den Unfallort unerkannt zu verlassen - das ist der Klassiker."

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Jürgen Spindler