Ingolstadt
Optimismus, Angst – und ein überlegener Sieg

24.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:59 Uhr

Energischer Kick. Johannes Wolf (links) ließ seinem Gegner Sunny Hira keine Chance. - Foto: Bösl

Ingolstadt (DK) "Wer muss als nächstes zum Arztcheck? Wo sind die Engländer? Jungs, Ihr sollt nicht so viel essen, Ihr müsst nachher noch kämpfen!" Laut und aufgeregt geht es am Samstag zu im Keller des Stadttheaters Ingolstadt, in dem sich auch der Catering-Raum für die Kickboxer und ihre Betreuer befindet.

Die Organisatoren, Ärzte, Trainer und Kämpfer wuseln durcheinander, geben und nehmen letzte Anweisungen und bereiten die letzten Kleinigkeiten für den Weltmeisterschafts-Kampftag im Kickboxen vor, der eine halbe Stunde später, um drei Uhr nachmittags, beginnen soll.

"Sieg durch K.o."

Auch Johannes Wolf schaut noch kurz bei seinem Team vorbei. Der amtierende Weltmeister hat seinen Arztcheck schon hinter sich. Blutdruck, Augen, Gelenke – alles in Ordnung. Noch ist er zuversichtlich und verspricht: "In der fünften Runde müssen die Zuschauer aufpassen, da werde ich durch einen gedrehten Kick zum Kopf durch K.o. gewinnen!" Aber bevor der Star des Kampftages am Abend gegen Sunny Hira aus Birmingham antreten wird, fährt er zurück ins Hotel und legt sich schlafen.

Im Festsaal des Stadttheaters laufen die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren. Judith Lintow, die das Event mitorganisiert hat, sieht nach, ob jeder Helfer seine Aufgaben kennt. Vor dem Haupteingang des Theaters drängen sich schon die ersten hundert Zuschauer. Jens Lintow, der den Kickboxtempel Ingolstadt leitet und selbst Profi und Weltmeister war, zeigt den Kämpfern, von welcher Seite sie später über die Bühne in den Ring gelangen sollen.

Dann ist es soweit. Das Licht wird gedimmt, die Gäste strömen in den Festsaal, doch längst sind nicht alle Plätze belegt. Pierre Geisensetter beginnt mit der Moderation und zur Einstimmung gibt es erst einmal Rock vom Feinsten, den die Ingolstädter Band Richmond zum Besten gibt. Der Präsident der ISKA (International Sport Kickboxing Association) Arslan Hasan und Vizepräsident Davut Sidal sowie die Ringrichter nehmen ihre Plätze ein. Die Spannung im Saal steigt.

Den Nachmittag über zeigen einige Nachwuchskämpfer Showkämpfe, bei denen es nicht um eine Meisterschaft geht. Unterbrochen werden die vier Kämpfe durch eine hochspannende Viertelstunde, in denen die Berliner Künstlerin Meike Silja eine waghalsige Tuch-Trapez-Show zeigt. Ohne Sicherung, die Zuschauer in dem nun fast vollen Stadttheater sind beeindruckt.

Halb sechs. Seit einer halben Stunde ist Johannes Wolf wieder im Stadttheater. Gerade sitzt er mit dem Erdinger Trainer Peter Lutzny in seiner Kabine und lässt sich die Fäuste bandagieren. Er trägt jetzt statt der lässigen Jeans und des knallgelben T-Shirts schon seine Sporthose. Mittlerweile ist die Lockerheit einer gewissen Anspannung gewichen. Wolf macht zwar noch immer Witze, aber merklich nicht mehr so viele wie noch vor ein paar Stunden. Wie es ihm geht, kurze Zeit vor dem Kampf? "Ich hab voll Angst", gibt er zu und lächelt trotzdem.

Oben im Festsaal beginnt der erste Weltmeisterschaftskampf. Dominik Haselbeck (33) vom KBV Erding tritt gegen Tommy Mc Cafferty (24) aus Irland an, der den Titel im Vollkontakt bis 75 Kilogramm innehat. Der Kampf ist hart, Haselbeck ist zunächst eher defensiv, pariert Mc Caffertys Angriffe aber gekonnt.

Ab der Hälfte des Kampfes merkt man beiden Sportlern den Kraftverlust an, Haselbeck blutet an der linken Wange. Seine zahlreichen Fans sind außer sich, sie unterstützen ihren "Hasi" mit lauten Rufen. Der Kampf endet mit einem Unentschieden. Mc Cafferty kann seinen Weltmeistertitel verteidigen, Haselbeck trägt neben der gefühlten Niederlage noch ein verletztes Ohr davon.

Im Schwitzkasten

Jetzt wird es ernst für Johannes Wolf. Bis zu seinem Kampf hat er noch ein paar Minuten Zeit, um im Keller mit den Trainern Jens Lintow und Peter Lutzny seine Schläge und Kicks durchzugehen. Die Anspannung ist jetzt deutlich an Wolfs konzentrierten Blick zu sehen. Auch in den Zuschauerreihen wird es still. Moderator Pierre Geisensetter kündigt den letzten Kampf des Abends an. Gleich darauf betritt der Herausforderer Sunny Hira (27) aus England den Ring. Er trägt einen silbernen Pailletten-Bademantel und sprintet in die rote Ecke. Richmond betreten noch einmal die Bühne und spielen "Breathe on", das Lied, das sie extra für den Einlauf von Johannes Wolf geschrieben haben. Der erscheint auf der Treppe und sobald sich der Scheinwerfer auf ihn richtet, ist das Publikum völlig aus dem Häuschen.

Der Vollkontakt-Kampf bis 58,2 Kilogramm beginnt sehr ruhig. Hira und Wolf sind hochkonzentriert. Wolf teilt Frontkicks, Sidekicks, Halbkreiskicks aus und versucht einige Male einen Fußfeger. Doch auch Hira ist ein harter und schneller Kämpfer. Die beiden schenken sich nichts und probieren es mit Jabs und Punches. Je weiter die Runden fortschreiten, desto öfter führt Johannes Wolf seine gedrehten Kicks in Richtung Hiras Kopf aus. Auch in der fünften Runde. Doch mit dem K.o.-Schlag klappt es nicht. Wolf dreht sich zu seinen Fans, zuckt mit den Schultern und zeigt ein entschuldigendes Lächeln.

Der Kampf geht verbissen weiter, Wolf ist der Überlegene und der Fairere, denn Hira nimmt seinen kleineren Gegner ständig in den Schwitzkasten. Doch der Titelverteidiger wehrt sich und teilt weiter kräftig Schläge und Kicks aus. Am Ende ist das Ergebnis einstimmig. Jeder der drei Ringrichter gibt Johannes Wolf 120 Punkte – der Ingolstädter hat seinen WM-Titel verteidigt. "Der Kleine ist großartig gewesen", jubelt Trainer Luzny seinem Schützling zu. Der ist nach der obligatorischen Champagnerdusche überglücklich, bedankt sich bei Fans und Team und kündigt an: "Jetzt gehe ich erst mal richtig feiern, Ihr kommt alle mit, und ich habe dann auch noch Zimmer frei!" Kaum ist der Titel verteidigt und die Anspannung abgefallen, kann der "Kleine" auch schon wieder Späße machen.