Pfaffenhofen
Opfer wird zum Angeklagten

Verfahren gegen vier Asylbewerber, die bei einem Landsmann Hasch geordert hatten, wird eingestellt

09.01.2019 | Stand 25.10.2023, 10:23 Uhr

Pfaffenhofen (DK) Der Schuss ging nach hinten los: Ein Asylbewerber hatte vier Landsleute angezeigt, weil sie ihn angeblich gewürgt, geschlagen und ihm seine beiden Handys abgeknöpft haben.

Die wehrten sich vor dem Pfaffenhofener Amtsgericht: stimmt alles nicht. Vielmehr habe das angebliche Opfer 75 Euro für Marihuana kassiert, dann aber nicht geliefert. Jetzt hat das vermeintliche Opfer eine Anzeige wegen Drogenhandels am Hals.

Die Verhandlung am Montag stellte Richter und Staatsanwalt auf eine harte Geduldsprobe. Es begann schon damit, dass von den vier Angeklagten - für jeden hatte das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellt - nur zwei erschienen waren. Einer sei in Dublin, wusste einer der beiden Angeklagten, der 27-jährige Noam (alle Namen geändert). In Irland? So plötzlich? Nein, nein, sagt die Dolmetscherin auf Nachfrage beim Angeklagten, er meine vielmehr, dass nach dem Dublin-Abkommen dessen Aufenthaltsstatus wohl noch ungeklärt sei. Aha. Und wo er sich jetzt aufhalte, fragte Amtsrichter Ulrich Klose. Schulterzucken. Und der andere Angeklagte? Mit dem, sagte Noam, habe er gestern noch telefoniert, der komme. Mit dem Zug. Aus Augsburg. Hat sicher Verspätung. Klose bittet, ihn anzurufen. Noam zückt sein Handy. Ach so, ist leer, keine Prepaid-Karte mehr drin. Klose schiebt ihm das Festnetz-Telefon rüber. Der Angerufene meldet sich. Er sei in Augsburg, aber jetzt mache er sich auf den Weg zum Bahnhof. "Sagen Sie ihm", sagte Klose zu Noam, "dass er sich den Weg sparen kann. " Das Verfahren gegen ihn und den anderen Angeklagten wird abgetrennt.

Also, wie war das am 9. Mai gegen 16 Uhr am Oberstimmer Leilachsee? Noam holt weit aus: Man habe zu viert Geld zusammengelegt und dann bei Aren, ihrem Landsmann, Marihuana bestellt. 12,5 Gramm versprach er zu liefern. Übergabe fünf Tage später am Leilachsee. Aren erschien auch am Treffpunkt, aber ohne Stoff. Dann eben Geld zurück. Aber ihr Geschäftspartner zeigte sich zugeknöpft, nahm die Beine in die Hand und rannte weg.

Die Anklage wirft dem Quartett vor, Aren festgehalten, geschlagen und ihm die Handys als Pfand aus der Tasche gefischt zu haben. Nein, sagt Noam, die Handys seien ihm beim Wegrennen aus der Tasche gefallen. "Schau mal, da liegen ja zwei Handys", habe ihm Kobe gesagt, sein Nebenmann auf der Anklagebank, "die können wir doch nicht da liegen lassen. " Klose bohrt nach: "Haben Sie ihn festgehalten? " Noam: "Ich habe 15 Euro bezahlt, ein anderer zehn, um zu rauchen. " Er führt Zeige- und Mittelfinger an die Lippen. Das war jetzt nicht die Frage. Die Übersetzerin wiederholt sie. So ganz kleine Handys seien das gewesen, antwortet Noam und spreizt Daumen und Zeigefinger. Klose bittet die Dolmetscherin zu übersetzen: "Ich möchte gern auf eine klare Frage eine klare Antwort. " Nein, sagt Noam, er habe ihn nicht festgehalten. Auch Kobe, der zweite Angeklagte, will nur eine Diskussion mitbekommen haben. Kann sein, dass man sich geschubst habe und die Handys dabei auf den Boden gefallen seien.

Aren, das vermeintliche Opfer, dessen Würgemale nach den Polizeifotos in den Akten allerdings nicht erkennbar sind, will von einer Verabredung zwecks Hasch-Übergabe nichts wissen. Zufällig sei er da vorbeigekommen, als die vier da standen, weil er eine Abkürzung zu seiner Unterkunft habe nehmen wollen. Das allerdings, weist ein ortskundiger Polizist, der die Ermittlungen geleitet hatte und als Zeuge vorgeladen war, zurück. Die Abkürzung sei vielmehr ein Umweg und deshalb ein Treffen wegen des Drogengeschäfts wahrscheinlich. Also wie war das, ermuntert Klose Aren, seine Version zu erzählen. Aren legt los: Er und seine Frau hätten damals in eine andere Unterkunft ziehen müssen, und als Noams Frau ein Kind bekam, da sei seine Frau rüber, um zu gratulieren, aber dann hätte auch Noam umziehen müssen. . . Klose schaut zum Staatsanwalt, der leicht entnervt seinen Kopf mit der Hand aufstützt, und schlägt vor, das Verfahren einzustellen. Von Körperverletzung könne keine Rede mehr sein, von Raub ohnehin nicht, allenfalls von Unterschlagung einer Fundsache. Die Verteidiger sind einverstanden, die Prozessbeteiligten - ein Richter, zwei Schöffen, die Protokollführerin, der Staatsanwalt, vier Anwälte, zwei Zeugen und eine Dolmetscherin - können nach einer guten Stunde Verhandlung Mittag machen.

Albert Herchenbach