stadtgeflüster
Oberbürgermeister live und in Farbe

20.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:35 Uhr

(reh) Die alte Litfaßsäule hat ausgedient, ein neues Zeitalter ist an den Ingolstädter Straßen angebrochen.

Statt auf gekleisterten Plakaten zu erscheinen, flimmern Informationen und Werbebotschaften nun auf überdimensionalen LED-Wänden ohne Unterlass. Im Büro des Oberbürgermeisters dieser Stadt herrscht helle Begeisterung, wie ein aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammender Audiomitschnitt aus den Rathausräumen belegt.

OB Christian Lösel: Herr Klarner, Herr Klarner, laufen die Leinwände schon? Sind wir auf Sendung?

(Der Presseamtsleiter eilt zur Tür herein)


Michael Klarner: (schwer atmend) Aber Herr Oberbürgermeister, Sie haben doch vorgestern selbst den roten Knopf für den Start gedrückt.

Lösel: Ja schon, aber das rote Ding ist doch gar nicht angeschlossen. Mit dem hab' ich schon Flugtaxis, 'ne Million Bäume, den Umbau der Fußgängerzone, den Neujahrsempfang, die Bürgerversammlung in Mailing, die Orgelmatinee im Münster, die Bischofsfrühjahrsvollversammlung und was weiß ich nicht alles gestartet.

Klarner: Ach so, der Drücker ist nur eine Attrappe. . .

Lösel: Aber psssst, nicht dass das die Opposition spitzkriegt. Sonst schaffen die sich auch einen an. Die denken bisher, der ist für die Stadt exklusiv im Digitalen Gründerzentrum entwickelt worden. Also, was ist nun, funktionieren die Leinwände?

Klarner: Tadellos, wie mir unsere Arbeitsgruppe Information-Digitalisierung-Öffentlichkeit-Propaganda-Straßenbegleitgrün GmbH, kurz IN-döps, versichert.

Lösel: Hervorragend. Wann feuern wir die erste Folge ab? Das Kamerateam sitzt schon seit Stunden im Vorzimmer.

Klarner: Na ja, vielleicht sollten wir noch auf die Stellungnahme unseres Rechtsamts warten. Im Vertrag mit der Leinwand-Firma steht ausdrücklich, und ich zitiere, "um wichtige Nachrichten schnell verbreiten zu können", dürfen wir auf deren Werbe-Anzeigetafeln zugreifen. Klingt also eher nach Katastrophenfall.

Lösel: Papperlapapp, was kann denn wichtiger sein als Szenen aus dem Leben eines Oberbürgermeisters, der sich Tag und Nacht für diese Stadt aufopfert? Sich im Schweiße seines Angesichts der Digitalisierung und Nachhaltigkeit stellt. Das müssen die Bürgerinnen und Bürger endlich mit eigenen Augen sehen. Live und in Farbe. Auf neun Quadratmetern.

Klarner: (zögernd) Äh, uns fehlt aber weiter ein knackiger Name für die Sendung.

Lösel: Was haben Sie denn gegen "Christian - Schicksalsjahre eines Oberbürgermeisters"? Das knallt doch richtig. Da wird die SPD ein Jahr vor der Kommunalwahl schnaufen.

Klarner: . . . und die Bürgergemeinschaft klagen. . .

Lösel: Sollen sie doch. Da machen wir gleich eine Sondersendung. Wird alles gesendet. Alles! (eilt zur Tür hinaus) Kamerateam, mir folgen!