Nur mal kurz die Welt retten

Reise zum andalusischen Partnernaturpark María-Los Vélez

05.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:34 Uhr
Die Ruinen eines völlig ausgestorbenen Dorfes hat die bayerische Delegation im Naturpark besucht. Die Landflucht ist eines der großen Probleme im Landesinneren von Andalusien. Nur die Kirche steht noch. −Foto: Ammer

Eichstätt/Los Vélez (DK) Verfallene Dörfer, ein Hippie-Festival inmitten gelber Steppe und Treffen mit hochrangigen Politikern: Eine Delegation aus dem Naturpark Altmühltal hat den andalusischen Partnernaturpark María-Los Vélez bereist. Ein Besuch bei Freunden mit dem Ziel voneinander zu lernen, zu profitieren und gemeinsam Wege in eine gute Zukunft zu finden.

 Einst hat es hier einen Laden gegeben, eine Kneipe, eine Schule. In dem kleinen Ort herrschte Leben, da wurde gepflanzt und geackert, gebetet und geliebt. Geblieben sind von dem Dorf, dessen Namensschild verschwunden ist, nur Ruinen. Die meisten Häuser haben keine Dächer mehr, hölzerne Balken bohren sich wie gesplitterte Zähne in den blauen Himmel. Eine Tür hängt noch schief im Rahmen, Reste blauer Farbe blättern vom Holz. Drinnen stehen Stühle, ein Koffer, über dem Kamin hängt eine kleine Pfanne. Ein fast blinder Spiegel. Eine vergilbte Zeitung auf einem kleinen Tisch nennt das Jahr 1979. Die zwei winzigen Räume müssen mit als letzte verlassen worden sein. Ginés Rodríguez Campos, einer der Jeepfahrer, mit denen die Delegation den Naturpark erkundet, ist noch in der kleinen Kirche des Ortes getauft worden, war dort Ministrant. Geblieben ist niemand. Die Gegend ist von Abwanderung geprägt, die Weiler sind stark isoliert, durch die Mechanisierung der Landwirtschaft wurden Tagelöhner überflüssig - und ihre Arbeitsplätze verschwanden.

In dem Ort María, einige Kilometer weiter, läutet die Totenglocke. Es ist Markttag, es duftet nach frischem Schmalzgebäck, an einer Ecke stehen ein paar alte Frauen zusammen und gerade ist wieder jemand gestorben. Es leben vor allem Alte in dem kleinen Ort im Landesinneren von Andalusien, junge Leute sieht man kaum in den stillen Straßen. Kein Kinderlachen klingt über den schmucken Marktplatz. Nur die Glocke schlägt. Drei Tote hatten auch sie diese Woche zu beklagen, sagt der Vize-Bürgermeister des Nachbarorts Vélez Blanco, Dietmar Roth. Er selbst stammt aus Deutschland und hat sich vor Jahren in dem Naturpark niedergelassen. Von einst über 8000 Bewohnern sind noch rund 2000 da. Das Binnenland Andalusiens werde mehr und mehr aufgegeben. Die Gäste aus dem Naturpark Altmühltal sind betroffen. Die Landflucht ist eines der Hauptprobleme der Region in Spanien. Arbeitslosigkeit drängt die Jugend in die Städte und Küstenregionen. Umso mehr freut sich der Bürgermeister von María über einen neuen Großbetrieb: Eine Schweinezucht wird sich ansiedeln.

Eine Entwicklung, die nicht jeden in den vier Hauptorten in Sierra María- Los Vélez freut. Es gibt eine Bürgerbewegung gegen den Mastbetrieb. Jaime de Lara ist der Direktor des dortigen Naturparks und Gegner des Schweinestalls. Er spricht von 500000 Tieren, die dort gemästet werden sollen - mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die Umwelt, alleine durch die Gülle. Doch die Menschen sind hin- und hergerissen: Wer keine Arbeit hat, ist über jede Stelle, die sich neu bietet, froh. Es ist klar, dass etwas getan werden muss, damit die Dörfer nicht aussterben. Und hier kommt auch die Delegation aus dem Naturpark Altmühltal ins Spiel. "Man muss Alternativen aufzeigen, nur dagegen sein bringt nichts", weiß Dietmar Roth, der auch treibende Kraft der Naturparkpartnerschaft ist.
Seit einem Besuch des andalusischen Landwirtschaftsministers Rodrigo Sánchez Haro im Altmühltal ist auch das politische Interesse an der Partnerschaft geweckt - und zugleich an den Problemen in Los Vélez. Der hochrangige Politiker empfängt die Delegation zusammen mit dem Umweltminister José Fiscal López. Es geht um eine Anerkennung der Naturparkpartnerschaft durch die EU, auf die alle gemeinsam hinwirken, um Ideen für den Tourismus, um Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten, voneinander zu lernen. Haro zeigt sich beeindruckt vom Maschinenring: "Wir haben noch viel Arbeit." María ist der Ort mit den meisten Mähdreschern Andalusiens - auf den Einwohner gerechnet.

In Los Vélez ist gerade Mandel-ernte. Überall am Straßenrand hängen die knorrigen Bäume voll mit Früchten. Es ist das größte zusammenhängende Mandelanbaugebiet Europas. Doch mit den Preisen der Mandeln aus Kalifornien können sie nicht mithalten. Dafür produzieren die Andalusier ökologisch. Christoph Würflein, Geschäftsführer des Naturparks Altmühltal, erklärt, man müsse den Mehrwert darstellen und die Mandeln eventuell über Slow-Food-Verbände vorstellen. Die Möglichkeiten von Direktvermarktung der Produkte aus dem andalusischen Naturpark in Bayern werden in der Kommission lebhaft diskutiert. Im Gegenzug profitieren die Deutschen von den Erfahrungen der Andalusier bei der Waldbrandbekämpfung. 700 Brände hat es alleine in der vergangenen Woche in Andalusien gegeben, 80 Prozent davon sind auf einer Fläche von unter einem Hektar geblieben. Ein großer Erfolg. Minister López beschreibt, wie wichtig die Prävention ist - 4500 Menschen sind in Andalusien mit dem Thema beschäftigt. Und eine ganze Menge Schafe: Sie halten die Schneisen frei - als freiwillige Feuerwehrleute sozusagen.

Positive Entwicklungen gibt es beim Schüleraustausch zwischen den Regionen. Alexander Anetsberger, Bürgermeister von Beilngries, erzählt, dass es am dortigen Gymnasium heuer zum ersten Mal den Wahlkurs Spanisch gebe. Vielleicht lässt sich der Schüleraustausch, der zwischen dem Ort Vélez Rubio und dem Willibaldgymnasium Eichstätt läuft, ausweiten. Auch andere Schulen haben Interesse bekundet. Minister López ist überzeugt: "Nationalismus kann man mit Reisen heilen." Die Politiker versichern ihre volle Unterstützung der Naturparkparkpartnerschaft. Bei den aktuellen fremdenfeindlichen Tendenzen in Europa sei es umso wichtiger, sich kennenzulernen. "Dann fallen die Grenzen in den Köpfen", so Wellheims Bürgermeister Robert Husterer.

Auf einem Stuhl mitten in der andalusischen Pampa sitzt ein Querflötenspieler. Die sphärische Musik untermalt eine surreale Kulisse: In der Steppenlandschaft gehen und liegen Menschen aus aller Welt, unterhalten sich, dösen - und pflanzen Bäume. Ein Mann mit langen Rastalocken und ohne T-Shirt trägt einen roten Eimer mit Wasser vorbei. "Gehen wir die Welt retten", sind sich die bayerischen Bürgermeister einig und steigen aus dem klimatisierten Bus. Eine Frau im Schmetterlingskostüm kommt auf sie zugeflattert, verteilt Liebe und Bäumchen an die Neuankömmlinge. "Wenn Sie dreckig werden wollen, sind Sie willkommen." Der Landrat bekommt Humus in die Hand gedrückt, Alexander Anetsberger und Norbert Hummel beginnen zwischen Disteln und Idealisten mit Spitzhacken Löcher in den rissigen Boden zu schlagen. Mit einem Eimer macht sich Rita Böhm auf den Weg, von einem Tank am Wegesrand Wasser zu holen. Die interkommunale Zusammenarbeit soll sprießen. Altmannsteins Bürgermeister pflanzt voller Tatendrang gleich noch das Landratsbäumchen. Die Schmetterlingsfrau flattert voraus zu einem halb verfallenen Gutshof, wo sich noch mehr Menschen versammelt haben. Es ist das erste Regeneration-Festival und unter einem Strohdach trifft die deutsche Delegation auf Weltverbesserer und solche, die es werden wollen.

Besonderes Interesse zeigen die Andalusier am Altmühltaler Lamm. "Der Weltmarktpreis für Lamm ist sehr niedrig", weiß Christoph Würflein. Die Probleme sind ähnlich. In Deutschland wird über eine Weidetierprämie nachgedacht, um zu vermeiden, dass noch mehr Schäfer ihre Wanderstöcke niederlegen. Sie sind wichtig für den Erhalt der Trockenrasen. "Solange kein Geschäft daraus entsteht, ist man immer abhängig von Fördermitteln", bringt Fritz Lietsch, Geschäftsführer der Altop Verlags- und Vertriebsgesellschaft für umweltfreundliche Produkte, das Problem auf den Punkt. Deswegen brauche es neue Ideen - "auf zum Schäferstündchen vielleicht". Wie in Mörnsheim die Übernachtung im Schäferwagen. Kreisbäuerin Christa Weber betont, dass an der Wertschätzung der Produkte aus der Region gearbeitet werden müsse. In Bayern wie in Andalusien.

Auf einem Strohballen sitzt Christian Kroll. Von ihm kommen die Bäumchen für das Festival. Er ist Gründer der Webseite Ecosia - "die Suchmaschine, die Bäume pflanzt". Rund 80 Prozent der Einnahmen werden in ökologische Projekte gesteckt. Konkret ist das ein Baum pro Suchanfrage. Eben solche, wie sie die bayerischen Bürgermeister gerade eben gepflanzt haben. Die Bäume sind extrem wichtig für die Region. Früher sei hier alles bewaldet gewesen, erzählt Jaime de Lara, doch der Mensch habe alles abgeholzt. Heftige Regenfälle schwemmten Erde und Humus weg. Jetzt wird wieder aufgeforstet, Bäumchen für Bäumchen. Eine mühsame Arbeit, doch erfüllend, bekräftigt der Naturparkvorsitzende. Und Landrat Anton Knapp sagt - auch mit Blick auf die Partnerschaft: "Wir schauen dankbar zurück auf all das, was erreicht wurde und richten den Blick konsequent in die Zukunft."
 

Isabel Ammer