''Normales Business''

09.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr
Im Kreise seiner Mannschaft: Eugen Haaf (r.) bei der Teambesprechung unmittelbar nach dem Spiel, unmittelbar nach dem 37:9-Auswärtssieg bei den Darmstadt Diamonds. −Foto: Jürgen Spiess

Ingolstadt (DK) Eugen Haaf hat die Ingolstadt Dukes mitgegründet, arbeitet bei ihnen seit dem ersten Tag als Headcoach und führte sie in dieser Funktion bereits von der untersten Spielklasse bis in die Zweite American-Football-Bundesliga. Zuletzt hatten wir die Gelegenheit, gemeinsam mit dem Peutenhausener zum Auswärtsspiel
nach Darmstadt zu fahren.

Bunny ist sauer. Richtiggehend verärgert. Weil ihr Herrchen schon wieder weg muss. Ohne sie, die stolze Mischlingshündin, der von Eugen Haaf einst irgendwo an einer ungarischen Autobahnraststätte das Leben gerettet worden war und die seitdem bei ihm in Peutenhausen im Altlandkreis Schrobenhausen lebt. Beziehungsweise von ihm dort gepflegt und verwöhnt wird. Aber es hilft nichts: An diesem Sonntag darf sie nicht mit. Denn den amtierenden Spitzenreiter in der Zweiten American-Football-Bundesliga coachen und gleichzeitig auf ein quietschfideles Energiebündel auf vier Beinen aufpassen – das kann auch ein Haaf nicht. Also: Bunny bleibt zu Hause, bei Eugens Mutter. Basta!

Kurz nach 9 Uhr ist es mittlerweile, als sich Haafs Allradbolide endlich Richtung Darmstadt in Bewegung setzt. Markus Köstler aus der Offense Line der Dukes sowie Wide-Receiver Muk Kang sind übrigens ebenfalls dabei. Beide wohnen ja auch in Peutenhausen, bei ihrem Headcoach quasi um die Ecke – und schon kommen sie nun eben in den Genuss, nicht mit dem deutlich langsameren Mannschaftsbus nach Hessen tuckern zu müssen, sondern im geräumigen Privat-Pkw des Bosses. Auch nicht schlecht.
 
Gesprochen wird anfangs nicht viel. Köstler versucht sich per Energy-Drink wach zu bekommen, Kang gönnt sich noch ein Nickerchen auf dem Rücksitz – und Haaf gibt richtig schön Gas. Um 16 Uhr ist schließlich Matchbeginn, und drei Stunden davor sollte man eigentlich schon am Spielort angekommen sein – sagt zumindest das Trio. Dumm nur für jenes, dass der Verkehr auf Deutschlands Autobahnen diesmal etwas dagegen hat: Stau kurz hinter Heilbronn, es geht plötzlich nur noch im Schritttempo weiter. Köstler, inzwischen als Fahrer im Einsatz, registriert’s in seiner bekannt ruhigen Art, während Haafs Blick doch eine leichte Nervosität verrät. Die telefonische Nachfrage von Defense-Koordinator Mike Wittmann („Hallo Eugene, wir sind mit dem Teambus gerade in Darmstadt angekommen. Wann kommt Ihr?“) macht den Headcoach kurz nach 12.15 Uhr nicht gerade ruhiger.

Immerhin, nach rund einer Dreiviertelstunde unfreiwilligen Betrachtens der baden-württembergischen Landschaft geht’s ja doch zügig weiter. An Sinsheim vorbei, am Hockenheim vorbei, an Mannheim vorbei. Darmstadt, die drei letzten Dukes kommen! Wobei: Nichts wird’s hier mit einem Auftritt im legendären Stadion am Böllenfalltor – also dort, wo Neu-Fußball-Erstligist SV Darmstadt 98 seine Heimat hat. Die Diamonds, die American-Football-Cracks der Hessen, absolvieren ihre Heimpartien stattdessen im Bürgerpark. Also keine Haafschen Anweisungen an diesem Sonntag von einer Stelle, von wo aus sie in ein paar Monaten auch von Pep Guardiola, Lucien Favre oder Ralph Hasenhüttl gemacht werden. Schade eigentlich.

Dem Dukes-Headcoach ist’s in diesem Moment völlig egal. Viel lieber wäre es ihm nun, nach dem Erreichen des Parkplatzes kurz nach 14 Uhr, endgültig auch den Eingang zum Bürgerpark-Stadion zu finden. Nur so leicht ist dies nicht. Hier ein Freibad, dort ein Basketballfeld – und sogar am „Deutschen Haus der Leichtathletik“ kommt das Trio vorbei. Aber ein American-Football-Stadion? Fehlanzeige. Hilfe durch vorbeigehende Passanten gibt es auch nicht. „Diamonds?“ Dafür gibt’s bei ihnen nur Achselzucken.

Also gehen die drei Dukes weiter. Haaf mit Rucksack, Köstler und Kang mit ihren Spielerkoffern – sowie schön langsam mit gehörigem Frustpotenzial, das Ganze bei 31 Grad Celsius im Schatten, wobei hier nirgends ein Schatten ist. Erst nach knapp zehn Minuten hat der Fußmarsch ein Ende – weil nun endlich die Teamkollegen entdeckt werden und weil sich zwischen jenen sowie dem Trio ein Loch in einem Maschendrahtzaun befindet. Noch ein eleganter Sprung hierdurch, und die Dukes sind vereint an diesem Sonntagnachmittag.

Haafs erster Weg führt in die Teamzone ins Stadion – zu seinem Offense-Koordinator Roland Ertl, zu Defense-Koordinator Wittmann sowie zum mitgereisten Physiotherapeuten, der gerade Andreas Biendl aus der Offense Line bandagiert. Es ist weiterhin tropisch heiß, die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Haaf schüttelt den Kopf: „Irgendwie gefällt mir das alles nicht.“ In der Vorwoche noch hatten seine Dukes die Diamonds mit 41:6 vom Feld gefegt. Bloß damals war den Hessen ein deutlich schwächerer Kader als diesmal zur Verfügung gestanden, wie der Ingolstädter Headcoach schnell bemerkt. „Nun haben sie einige Akteure mehr dabei, die einen Kraftraum definitiv schon von innen gesehen haben“, sagt er in Richtung Ertl – um von diesem ein „Nicht gut“ zurückzuerhalten. Die „Herzöge“ müssen also aufpassen.

Weiter geht’s mit dem „Aufwärmprogramm“. Ja, auch das gibt es an diesem Sonntag, trotz der gefühlten 45 Grad Celsius in der prallen Sonne. Die US-Legionäre geben hierbei den Ton an, ihre Mannschaftskameraden folgen den Anweisungen – und Haaf beobachtet das Ganze sehr genau. Beziehungsweise er geht zu verschiedenen Akteuren, klopft ihnen auf die Schulter, gibt ihnen besondere Tipps auf den Weg. Besonnen tut der 48-Jährige das – souverän, Ruhe ausstrahlend. Er, der absolute Chef, auf den alle hören.

Nach rund 15 Minuten ist dieses Prozedere zu Ende, das Team inklusive Haaf geht zurück in die Katakomben des Stadions. Endlich so etwas wie erträgliche Temperaturen, fast schon so etwas wie Kühle. Wunderbar. Der verantwortliche Schiedsrichter wartet hier bereits auf den Ingolstädter Headcoach, fragt nach der gewünschten Zeit für die Passkontrolle. „Wie wär’s mit Dreiviertelvier?“, so Haaf – um sofort ein „So etwas gibt es nur in Bayern, nicht aber in Deutschland“, zu ernten: „Bei uns heißt das Viertel vor vier.“ Der Referee lacht, Haaf lacht, die Atmosphäre wirkt locker. Auf ein schönes Match.

Sofern das bei dieser Hitze überhaupt möglich ist. Als die Partie dann fast pünktlich kurz nach 16 Uhr beginnt, steht der Dukes-Headcoach dort, wo er bei den Spielen der Seinen immer steht: ganz vorne an der Seitenlinie, eine rote Mütze auf dem Kopf, weiterhin Souveränität ausstrahlend. Das Dumme für ihn, das Dumme für alle „Herzöge“ ist nur: Es läuft zunächst nicht so recht. 0:3-Rückstand nach dem ersten Viertel, so gut wie keine gelungenen Aktionen in der eigenen Offensive – so dieser Auftaktabschnitt in der Kurzzusammenfassung.

Und kurz danach bereits der nächste Schock: André Kelz aus der Offense Line verletzt sich ohne Fremdeinwirkung, Wadenbeinbruch sowie Syndesmosebandriss im rechten Bein sind die ersten Diagnosen. Hinzu kommt, dass sich die Dukes immer wieder über umstrittene Entscheidungen der Referees aufregen – und dadurch erst recht nicht zu ihrem Spiel finden. Na ja, zur Halbzeitpause führen sie trotzdem mit 9:3 – aber besonders schön ist’s irgendwie nicht anzuschauen.

Also muss der Headcoach doch reagieren. Vorbei mit aller Ruhe, vorbei mit aller Coolness bei ihm. Stattdessen gibt’s eine klare Ansage: „Was wollt Ihr hier? Die ganze Zeit nur diskutieren – oder doch dieses Match gewinnen? Jetzt geht wieder raus und zeigt, dass hier heute unbedingt den Sieg wollt – und nichts anderes“, schreit er seine Cracks an.

Die Sätze zeigen prompt Wirkung – und die Ingolstädter machen praktisch schon im dritten Viertel alles klar, in dem sie bis auf 22:3 davonziehen. Am Ende steht’s sogar 37:9 für die „Herzöge“ – trotz der hohen Temperaturen, trotz der immer wieder umstrittenen Pfiffe der Schiedsrichter. Auch Haaf wundert sich über einige Entscheidungen. Aber deswegen gleich Endlosreklamationen mit den Referees? Nicht sein Ding. Der 48-Jährige ist Profi. Er weiß, dass kein Unparteiischer dieser Welt irgendeine Entscheidung aufgrund von Protesten eines Teams zurücknimmt. Also schluckt der 48-Jährige alles Negative hinunter und tritt gleichzeitig deeskalierend auf. So, wie es ein guter Headcoach eben macht.

Direkt nach dem Match ist sowieso alles vergessen. Abklatschen mit den Diamonds, Händeschütteln mit den Schiedsrichtern, noch ein paar Worte des Lobes an die eigene Mannschaft – dann ist der offizielle Teil für Haaf an diesem Sonntag beendet. Lust auf irgendwelche Gespräche noch direkt in den Katakomben? Fehlanzeige bei ihm. Stattdessen spaziert der Peutenhausener lieber allein in Richtung seines Autos, genießt eine Zigarette, lässt das gerade beendete Spiel nochmals Revue passieren und macht sich bereits Gedanken über die nächste Aufgabe – am nächsten Samstag bei den Wiesbaden Phantoms. Wie gut, dass der Weg vom Darmstädter Stadion zum Parkplatz nicht gerade kurz ist.

„Vor allem unser Laufspiel hat mir an diesem Tag gut gefallen“, sagt Haaf dann, als auch der Rest des Teams dort erscheint. Der Mannschaftsbus steht ja nur wenige Meter neben dem Allradboliden des Headcoaches. Die Stimmung unter allen Anwesenden ist entspannt, hervorragend. Man lacht, freut sich, scherzt. Und redet über die Atmosphäre während des Spiels hier in Darmstadt. „Dass ein Zweitligateam so wenige Fans hat, verwunderte auch mich ein bisschen“, räumt Haaf ein: „Aber andererseits hat es mich nicht zu interessieren, dass nur rund 200 Zuschauer da waren.“

Sagt es und braust, nachdem auch Köstler und Kang mittlerweile vom Duschen gekommen sind, nach Hause. Jetzt auf einer anderen Strecke, über Frankfurt und Würzburg – auf dem allerschnellsten Weg, schließlich muss Köstler bereits in der Nacht zu seiner regulären Arbeit. Obwohl, ein kurzer Zwischenstopp geht dann schon noch: bei Wertheim, bei einem Fast-Food-Restaurant. Ein fetter Burger und fette Pommes gibt’s hier als Belohnung für eine erfolgreiche Dienstreise.

Haafs Fazit, als das Trio um 0:07 Uhr wieder im heimischen Peutenhausen ankommt: „Dieses Spiel war nichts Besonderes, nur normales Business. Und jetzt ich bin froh, wieder in Bayern zu sein.“ Beziehungsweise wieder bei Bunny.