Nicht nur Rattenfänger

Kommentar

12.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:12 Uhr

Es ist an der Zeit, die Vereinigten Staaten mit ihren 340 Millionen Bürgern auch mal in Schutz zu nehmen. Denn nachweislich aller bisherigen Ergebnisse des Präsidentschafts-Vorwahlkampfs unterstützt lediglich eine Minderheit den rassistischen Sprücheklopfer Donald Trump.

Auch Bibel-schwingende Ultranationalisten wie Ted Cruz und Marco Rubio mit ihren Moralansprüchen des 19. Jahrhunderts können sich nur des Anhangs einer Minderheit erfreuen. Und Polittypen, die Spaß am Foltern von Andersdenkenden, Flächenbombardierungen sowie dem Ausradieren kompletter fremder Landschaften versprechen, haben ebenfalls nur eine begrenzte Anhängerschar.

Und deshalb bis zum Beweis des Gegenteils: Die Mehrheit der US-Bürger ist nicht so und gehört auch nicht zur Gemeinde der Wut- und Verzweiflungsbürger. Der "typische" US-Bürger, also die allermeisten von ihnen, ist friedliebend, einigermaßen zufrieden und nicht einmal rassistisch. Obwohl das immer wieder mal behauptet wird.

Der lebende Beweis sitzt im Weißen Haus und ist vor gut drei Jahren mit absoluter Mehrheit wiedergewählt worden. Die Arbeitsbilanz von Barack Obama kann sich nach mehr als sieben Amtsjahren auch sehen lassen: Er hat ein paar von seinem Vorgänger angezettelte Kriege beendet, den Konflikt mit dem Iran entschärft, gegen geballte konservative Politiker-Widerstände das schandhafte System der US-Krankenversicherung reformiert, das US-Haushaltsdefizit drastisch gesenkt, eine Erhöhung der Mindestlöhne durchgesetzt und das in acht Jahren von George W. Bush dramatisch ramponierte US-Image in der Welt restauriert, auch wenn er es anschließend mit seinem "Drohnenkrieg gegen Terroristen" wieder beschädigt hat.

Etliches, was der derzeitige US-Präsident der friedliebenden "guten Mehrheit" in den USA versprochen hatte, musste er hauptsächlich wegen des republikanischen Widerstands im Parlament schuldig bleiben: beispielsweise die Schließung des völkerrechtswidrigen "Terroristenlagers" in Guantanamo, die menschenwürdige Regelung des Problems der illegalen Einwanderer und auch die von den US-Bürgern mehrheitlich verlangte Eindämmung der irrwitzigen privaten Schusswaffenaufrüstung.

Auf breite Volkszustimmung stießen auch Obamas Umweltschutzbemühungen, die jüngst von der konservativen Mehrheit im US-Verfassungsgericht auf Eis gelegt worden sind. Warum eine breite US-Mehrheit die staatliche Überwachungshysterie mit einer beklagenswerten Beschneidung der bürgerlichen Grundrechte hinnimmt, ist für Nicht-Amerikaner dabei unerklärbar.

Insgesamt ist bei der Beobachtung und Beurteilung der Vereinigten Staaten zumindest etwas mehr Gelassenheit angesagt. "Die" Amerikaner (die meisten) sind ganz augenscheinlich besser als ihr Ruf. Rattenfänger auf Wahlkampfbühnen und Schreihälse auf der Straße erringen - nicht nur in den USA - eben mehr öffentliche Aufmerksamkeit als ihre Stärke verdient. Warten wir im Fall des US-Wahlkampfgetümmels bis zum endgültigen Wahlurteil doch einfach mal ab, denn etwas anderes bleibt dem Rest der Welt ja auch nicht übrig.

V

Der langjährige DK-Korrespondent Peter W. Schroeder lebt und arbeitet seit 1980 in Washington.