Tölzer Knabenchor
Neustart nach einem Jahr ohne Proben

Der Tölzer Knabenchor bekommt einen neuen Leiter - Gastauftritt in Ingolstadt im Dezember

01.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:31 Uhr
  −Foto: Fleckenstein, Pelke

München - Jubiläum und neuer künstlerischer Leiter: Es tut sich etwas beim Tölzer Knabenchor in diesem Jahr.

Vor 65 Jahre wurde der Chor von Gerhard Schmidt-Gaden gegründet, seit langem bereits zählt er zu den besten und erfolgreichsten Knabenchören der Welt. Aber der Chor unterscheidet sich von anderen klangvollen Vokalensembles: Niemals war er einem Internat verbunden.

Für Michael Hofstetter (59), dem neuen Leiter des Chors, war das ein ausschlaggebender Grund, diese Position bei dem Ensemble anzunehmen. "Ich glaube, ich wäre wahrscheinlich nicht zu einem Chor gegangen, bei dem die Kinder ein Internat besuchen müssen", erzählt der Dirigent. Sein Grund dafür ist sehr persönlich. Auch er war ein hervorragender Knabensänger und Nachwuchsmusiker, und natürlich wurde in seiner Familie darüber geredet, ob er nicht zu den Regensburger Domspatzen hätte gehen sollen. Für den jungen Michael Hofstetter jedoch kam das keinesfalls infrage: "Um nichts in der Welt hätte ich mein Elternhaus verlassen wollen. "

Ein Sängerknabe wurde aus ihm also nicht. Dennoch sollte er bald mit Chören zu tun haben. Als seine Eltern von München an den Ammersee zogen, bekam er als 14-Jähriger eine Stelle als Kirchenmusiker in einem kleinen Ort und gründete dort einen Kirchenchor. Damit eigentlich begann Hofstetters Laufbahn als Dirigent. "In diesem Sinne auch schließt sich der Kreis nach 35 Berufsjahren", erzählt Hofstetter, der auch künstlerischer Leiter der Gluckfestspiele ist.

Die Tatsache, dass der Knabenchor mit weniger Proben auskommen muss als vergleichbare Kinderchöre, sieht Hofstetter nicht als Nachteil. Sicher, bei den Regensburger Domspatzen etwa kann täglich ausführlich geprobt werden, Auftritte gibt es oft auch am Wochenende. Die Tölzer dagegen treffen sich nur drei Mal pro Woche. Die Eltern müssen die Kinder zur Probe bringen, was natürlich ein erheblicher Aufwand ist. "Die Arbeit des Chors ist allerdings unfassbar effizient", schwärmt Hofstetter. "Eigentlich immer sind zwei Chorleiter anwesend, einer von ihnen geht herum und gibt den Buben noch während der Probe hilfreiche Hinweise. Das ist ungemein effizient. Ich habe mir natürlich etliche Proben zuletzt angehört. Einen so guten Unterricht aber habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt", sagt Hof-stetter.

Vor allem sagt ihm das künstlerische Profil des Ensembles zu. Hofstetter hat sich in den vergangenen Jahren als Experte für historische Aufführungspraxis hervorgetan. Da passen die Tölzer genau ins Konzept, denn auch der Chor hat sich zusammen mit seinem Gründungsleiter Schmidt-Gaden immer wieder mit Aufführungen im Originalklang beschäftigt. "Ich kenne keinen anderen Chor, der so stark das Klangideal des 18. Jahrhunderts verkörpert", sagt Hofstetter. "Der silbrige, helle Klang passt hervorragend zum Darmsaiten-Charakter. "

Große Werke des Barocks möchte Hofstetter demnächst mit dem Chor angehen: zunächst das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach mit dem Concerto Köln und im Jahr darauf Georg Friedrich Händels "Messiah". Und es steht am 19. Dezember ein Gastspiel im Ingolstädter Festsaal an: Auf dem Programm steht die Weihnachtsgeschichte von Carl Orff, einem Komponisten, dem die Tölzer seit Jahrzehnten eng verbunden sind.

Am meisten wird Hofstetter allerdings der Nachwuchs beschäftigen. Die Corona-Krise hat die Chorarbeit stark behindert, ein Jahr lang konnten sich die Buben nicht zu gemeinsamen Proben treffen. Damit einher ging auch, dass der Chor - dessen Sitz übrigens bereits seit den 80er Jahren nicht mehr Bad Tölz ist, sondern München - keine Auftritte in Schulen hatte. So war die Anmeldesituation in diesem Jahr eher ein Desaster. "Wir haben 4500 Unterlagen an Schulen im Raum München verschickt, zurück kamen nur 18 Anmeldungen - sonst hatten wir in der Regel mehr als hundert", stöhnt Helga Schmidt-Gaden, die Tochter des Dirigenten.

Mädchen aufzunehmen, wie es bei manchen Knabenchören seit Jahren immer wieder diskutiert wird, das kommt für Hofstetter vorerst trotz der Nachwuchssorgen nicht infrage. "Mädchen haben ein anderes Timbre", sagt er. "Und außerdem gibt es ja für die auch Möglichkeiten zu singen: Mädchenchöre oder gemischte Chöre. " Der Tölzer Knabenchor allerdings würde durch Mädchen seinen spezifischen Charakter verlieren.

DK


Jesko Schulze-Reimpell