Florenz
Neustart mit Hindernissen

Mario Gomez will sich in Florenz für die WM empfehlen – doch eine Verletzung hat ihn vorerst gestoppt

18.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:39 Uhr

Florenz (DK) Es war die 62. Minute des italienischen Ligaspiels zwischen dem AC Florenz und Cagliari, als Mario Gomez vor Schmerzen schrie. Cagliaris Keeper war nach einem Zweikampf auf das Bein des Stürmers gefallen, die anschließende Diagnose des Vereinsarztes war niederschmetternd: Innenbandteilriss und eine Zerrung im Knie, ungefähr zwei Monate Pause. Es war die zweite Hiobsbotschaft in wenigen Tagen. Schon zuvor war Gomez desillusioniert von der Nationalelf zurück nach Italien gereist. Bundestrainer Joachim Löw hatte ihm gegen Österreich und die Färöer Inseln keine einzige Einsatzminute gegönnt.

Dabei war der Sommer 2013 doch als fulminanter Neustart geplant gewesen. Schon früh im Jahr hatte sich Nationalstürmer Gomez nach einem neuen Klub umgesehen, nachdem er beim FC Bayern zuletzt nicht über die Rolle eines Ergänzungsspielers hinausgekommen war. Dauerhaftes Bankdrücken ist, das weiß auch Gomez, keine gute Ausgangsposition für den Kampf um die Stammplätze bei der WM 2014 in Brasilien. Englische Spitzenklubs wurden sofort gehandelt, obwohl für Gomez ein Wechsel in die Premier League nicht in Frage kommt. Und sogar Real Madrid bekundete Interesse, Gomez aber sagt ab. „Die Entscheidung fiel mir schwer, weil meine ganze Familie aus Madrid-Fans besteht.“ Letztlich legte er sich früh auf den AC Florenz fest, was die Verhandlungsposition des FC Bayern nicht gerade stärkte. „Der Transfer wurde am Ende eine recht zähe Angelegenheit, weil der Klub versuchte, noch möglichst viel Geld für mich zu bekommen.“

Natürlich haben sich viele gewundert, dass Gomez vom derzeit besten Klub Europas zum AC Florenz wechselt, der in der italienischen Serie A seit vielen Jahren keinen Titel mehr gewonnen hat und der vor einem Jahrzehnt nur knapp an der Pleite vorbeigerutscht ist. Doch Gomez verweist auf die Perspektiven. Coach Vincenzo Montella, selbst früher Stürmer, liebt Angriffsfußball. Das Konzept ist auf einen klassischen Stoßstürmer wie Gomez zugeschnitten. Und Florenz hat Pläne. An Branchenprimus Juventus kommt zwar niemand vorbei, aber direkt dahinter will sich die Fiorentina einreihen und möglichst regelmäßig Champions League spielen.

Gomez soll dabei helfen. Als Stürmer, vor allem als Hoffnungsträger, als Signal des Aufbruchs. Deshalb ist er auch wie ein Popstar in Florenz empfangen worden. Als er bei seiner offiziellen Präsentation gemeinsam mit dem allmächtigen Präsidenten Andrea de la Valle den Rasen des Stadio Artemio Franchi betrat, begrüßten ihn über 20 000 Zuschauer mit Gesängen und bengalischen Feuern. „Es war, als liefe gerade ein Spiel! Ein unvergesslicher Moment“, sagt Gomez.

Und doch, bei aller Begeisterung, muss sich auch der FC Bayern noch einmal fragen: Warum dieser Wechsel? Warum lassen die Münchner einen Spieler gehen, der in 174 Spielen 115 Tore für den Klub geschossen hat? Die Antwort hat natürlich mit dem neuen Trainer des FC Bayern zu tun. Mario Gomez entspricht Guardiolas Ideal des wendigen, laufstarken, ungemein ballfertigen Angreifers, der ebenso selbstverständlich Defensivaufgaben am eigenen Strafraum verrichtet, nur sehr bedingt, eher gar nicht. Gomez große Stärke ist hingegen die Aktion im Strafraum, das ungemein zuverlässige Verwerten von Flanken und Vorlagen. Auf einen wie ihn könne nur der FC Barcelona verzichten, findet Gomez, denn nur Messi verbinde seinen fast schon kindlichen Spieltrieb mit Killerinstinkt. „Alle anderen brauchen einen, der abschließt.“ Mario Gomez sagt das sehr sachlich, dabei hätte er allen Grund, bei diesem Thema emotional zu werden. Denn seit mehreren Jahren wird er aufgrund seiner Spielweise, aufgrund seines Auftretens, aufgrund merkwürdiger Befindlichkeiten der deutschen Fanseele angefeindet, bevorzugt, wenn er im Trikot der Nationalmannschaft aufläuft. Los ging das im Vorrundenspiel der Euro 2008 gegen Österreich, als er eine klare Torchance unglücklich vergab. Fortan galt Gomez als Chancentod, seine unzähligen Tore im Klub und bei der Nationalelf konnten daran nichts ändern. Seither gellen oftmals Pfiffe, wenn Gomez aufläuft. 2009 gegen die Elfenbeinküste, im März 2011 gegen Kasachstan und kürzlich gegen Paraguay in Kaiserslautern. Mit dem Unmut der Zuschauer hat Gomez sich arrangiert, weniger gut kommt er mit der medialen Verstärkung solcher Antipathien klar. Als ARD-Experte Mehmet Scholl nach dem Vorrundenspiel gegen Portugal bei der Euro 2012 witzelte, Gomez habe sich beinahe wund gelegen und dabei fröhlich zu ignorieren schien, dass der Stürmer das Siegtor der deutschen Elf geschossen hatte, da hatte der Stürmer in den folgenden Tagen mehr damit zu tun, diesen Satz zu kommentieren, als sich auf die nächsten Spiele vorzubereiten. „Natürlich kostet so was Kraft“, sagt Gomez rückblickend.

Auch wenn Gomez in der Nationalelf derzeit nur selten in der Startelf steht, bleibt die WM in Brasilien 2014 das große Ziel. Manager Oliver Bierhoff hat gerade wieder einmal in einem Interview betont, dass die Nationalelf den Titel holen will. Mario Gomez will dabei sein. In Florenz wollte er dafür Anlauf nehmen. Die Voraussetzungen schienen gut.

Bis zur 62.Minute im Spiel gegen Cagliari.