Ingolstadt
Neun Monate zwischen Öffnen und Tod

Rumverkostung im Stadtmuseum mit Vorträgen zum Kolonialismus und zu den Schlaraffen

31.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:43 Uhr

Der Schlaraffensaal im Stadtmuseum ist ein außergewöhnliches Ambiente. Auf die gelungene Rumverkostung stießen (von links) Heiner Meininghaus, Beatrix Schönewald und Peter Engelniederhammer an. Verkostet wurden edle Tropfen und Cuba libre. Gustav Schröplers Gemälde der französischen Kriegsgefangenen 1871 in Ingolstadt schlug den Bogen zum Kolonialismus. - Fotos: Eberl

Ingolstadt (DK) Farbe, Duft, Körper oder Abgang sind im Allgemeinen nicht so sehr die Themen der Historiker. Doch mit einer Rumverkostung, Vorträgen über die Schlaraffen, den Maler Gustav Schröpler und den Kolonialismus beschritt das Stadtmuseum neue Wege.

Eine Verkostung, so Peter Engelniederhammer, sei eigentlich nichts anderes wie "betreutes Trinken". Mit Sätzen wie diesen hatte der früher in Oberstimm stationierte Berufssoldat die rund 30 Teilnehmer des Rum-Tastings im Stadtmuseum sofort auf seiner Seite - und mit seinem Cuba libre mit einem Rum der Marke Exquisito aus dem Jahr 1990 aus der Dominikanischen Republik. "Davon gibt es nur 1000 handnummerierte Flaschen", erklärte Engelniederhammer, worauf so mancher sein Glas mit etwas mehr Bedacht leerte. Die Botschaft des Experten war eindeutig und überzeugend: nur hochwertige Sorten trinken! "Ein Preisunterschied von sechs Euro macht den Unterschied zwischen Edelstahltank und Genuss aus."

Doch Engelniederhammer ging es auch um Wissen und Verständnis. Am Beispiel des Cuba libre tauchte er ein in die Geschichte der Karibik, der Plantagenwirtschaft und des spanisch-amerikanischen Kriegs, als dieses Getränk Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sein soll und nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa Verbreitung fand. Dazwischen eingestreut allerlei Wissenswertes über Rum, wie etwa das Solera-System, das lebende Fass, das immer wieder aufgefüllt wird, über Regionen, Destillerien, Produktion oder auch über Fasskunde.

Für die meisten Teilnehmer war das vermutlich fast alles Neuland. "Wir kennen bisher eigentlich nur Strohrum", räumte ein Paar frank und frei ein, das die Verkostung als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. "Und wer weiß, vielleicht fliegen wir ja dann mal in die Karibik." Nicht ganz so exotisch war der Abend für Stefan Bühler und Sebastian Peter aus Lippertshofen. Sie freuten sich auf die breite Palette von insgesamt zehn hochwertigen und außergewöhnlichen Rumsorten, die Engelniederhammer ausgewählt hatte. "Wenn man weiß, was ein guter Rum kostet, ist der Preis eigentlich ein Schnäppchen", sagte Bühler: Die Verkostung schlug mit 89 Euro zu Buche.

Neben dem Rum gab es auch viel für die Allgemeinbildung. Heiner Meininghaus erläuterte kurz das leicht exotische Ambiente, den Schlaraffensaal, sowie die Geschichte dieses ungewöhnlichen Vereins. Entstanden im 19. Jahrhundert in Prag, ist er eine Persiflage auf das Militär, mit vielen Orden und komischen Hüten und Decknamen wie Pikantus, Mandatus oder Leckerle. Die Schlaraffen tragen bei ihren Zusammenkünften Gedichte und Geschichten vor, spielen Musik und widmen sich der Malerei. "Kunst, Freundschaft und Humor" sind die Ziele des Männervereins, der in Ingolstadt seit 99 Jahren existiert. Religion, Politik oder Geschäfte sind für die rund 60 Mitglieder tabu.

Einen interessanten geschichtlichen Ausflug unternahm Beatrix Schönewald. Die Leiterin des Stadtmuseums erläuterte ein bekanntes Gemälde von Gustav Schröpler, das gefangene Suaven und Turcos (Soldaten aus den französischen Kolonien in Nordafrika) nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 im Gefangenenlager Ingolstadt zeigt. In Kurzform erläuterte Schönewald die verschiedenen Formen des Kolonialismus: Beherrschungskolonien der Spanier und Portugiesen im 16. Jahrhundert, Stützpunktkolonien in Amerika und Asien im 17., woran sich auch Niederländer oder Briten beteiligten, Siedlungskolonien im 18. wie in Süd- und Nordamerika oder Sibirien (Russland) und die europäische Expansion im 19. Jahrhundert, als Afrika und große Teile Asiens aufgeteilt wurden (auch unter deutscher Beteiligung) und dessen Spätform als Imperialismus bekannt ist. Heute, so Schönewald, sei es nicht mehr so wichtig, in einem anderen Land präsent zu sein: Die Spionage sei die fünfte Phase der Kolonialisierung.

Mit dem Dreieckshandel im Kolonialismus schlug Schönewald wieder den Bogen zurück zur Verkostung. Denn bis ins 19. Jahrhundert wurden Waffen, Alkohol und Kattun von Europa nach Asien gebracht, von wo aus Sklaven in die Karibik und Südamerika verfrachtet wurden. Die dort von ihnen produzierten Waren wie Zucker, Kaffee, Tabak, Baumwolle oder eben Rum verschiffte man dann nach Europa.

Auf den geistigen Exkurs folgte wieder der Schwenk zum Hochgeistigen in Form eines 21 Jahre alten trockenen Rums der Marke Appleton und eines 15 Jahre alten Demerara aus Guayana, der noch in einem jahrhundertealten hölzernen Kessel gebrannt wird. Neben vielen Infos zu den Marken und den Ländern erhielten die Teilnehmer auch spezielle Tipps. "Zwischen Öffnen und Tod der Flasche liegen neun Monate", erklärte Engelniederhammer: Dann entschwinden die Aromen. Im Übrigen riecht man Rum nicht wie Wein: Die Intensität der Aromen würde die Rezeptoren in der Nase völlig überfordern. Stattdessen nur kurz im Glas riechen und dann mit leichten Bewegungen auf etwas Abstand gehen. Dass hochwertige Spiritousen nichts mit Ex-und-Hopp-Trinken zu tun haben, versteht sich wohl von selbst. Ein (!) Glas reicht für einen ganzen Abend.