Netzaktivist Alvar Freude: ''ACTA zementiert einen falschen Trend''

10.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:51 Uhr
Alvar Freude −Foto: privat

Ingolstadt (dk) Deutschland wird das umstrittene Handelsabkommen ACTA vorerst nicht unterzeichnen. Ungeachtet dessen werden am morgigen Samstag bundesweit Demonstrationen stattfinden. Für donaukurier.de erklärt Netzaktivist Alvar Freude das Abkommen. Sein Fazit: ACTA ist schwammig, zementiert einen gefährlichen Trend und nützt nur Abmahnern und Rechteverwertern, nicht aber Urhebern und Nutzern.

Worum geht es bei ACTA?

Alvar Freude:" target="_blank" href="https://twitter.com/@alvar_f" %> ACTA ist ein internationales Handelsabkommen, das die Durchsetzung von Urheber- und Markenrechten stärken und auf hohem Niveau zementieren soll. Es ist ein Instrument des Völkerrechts.

Warum ist dieses Handelsabkommen so umstritten?

Freude: Es wurde jahrelang in Geheimverhandlungen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, die Parlamente hatten keinen Einblick oder gar Mitspracherecht. Aber auch inhaltlich ist es problematisch. Es zementiert eine strenge Auslegung und bindet die Vertragspartner jahrzehntelang daran. Viele Bestimmungen sind zudem ungenau und vage.

Kritisiert wird unter anderem der Artikel 27 des Vertragstextes. Können Sie erklären, um was es darin geht, bzw. wogegen sich der Protest richtet?

Freude: Artikel 27 betrifft die Rechtsdurchsetzung im Internet und ist wie die meisten anderen sehr schwammig. Insbesondere besteht die Gefahr, dass einzelne Regierungen Artikel 27 so deuten könnten, dass Internet-Zugangs-Anbieter das Verhalten ihrer Kunden überwachen müssen.

Wer war am Entstehungsprozess des ACTA-Vertragstextes beteiligt?

Freude: Begonnen haben die Regierungen von Japan und den USA, mit der Zeit kamen weitere Regierungen hinzu, aber auch die EU. Dabei geht es vor allem darum, Entwicklungs- und Schwellenländer zu strengeren Regeln zu bringen – damit Inhaber von Urheber- und Markenrechten sowie Patenten dort einen besseren Stand haben.

Sind Internet-Sperren als Sanktionen vom Tisch?

Freude: Im Vertragstext werden sie nicht mehr direkt gefordert, aber einige Passagen lassen sich so auslegen. Sprich: Vom Tisch sind sie nicht, und wer will, wird eine Einführung auch mit ACTA begründen können.

Inwiefern ist ACTA ein Thema in der Enquete-Kommission "digitale Gesellschaft" des Bundestags?

Freude: In der Projektgruppe Urheberrecht war es am Rande ein Thema, konkrete Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus aber nicht.

Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat gesagt, in Deutschland werde sich durch ACTA nichts ändern...

Freude: Tatsächlich sind die meisten geforderten Regelungen bereits in Deutschland Gesetz. Allerdings zementiert ACTA diese auf Jahrzehnte und lässt keinen Spielraum für die Abwägung der Interessen der Nutzer bzw. Verbraucher und der Rechteinhaber. Die Regelungen lassen beispielsweise nur wenig Raum für eine Unterscheidung von kommerziellen Urheberrechtsverletzungen und bloßem Privatgebrauch. Zudem wird die Praxis privater Rechtsdurchsetzung im Falle vermeintlicher Urheberrechtsverletzungen gefördert. Es geht aber auch um Staaten, die noch nicht Mitglied des Abkommens sind. Die sollen zum Beitritt genötigt werden – und müssen dann ihr Recht stark verschärfen. Das hilft uns, den entwickelten Staaten, da wir unsere Produkte dort besser verkaufen können. Deswegen drängt ja auch Hollywood auf immer strengere Regelungen. Entwicklungs- und Schwellenländer werden damit aber behindert, deren eigene Wirtschaft abgewürgt. So ist problematisch, dass Entwicklungsländer dazu getrieben werden sollen, beispielsweise im Bereich von Medikamenten günstige Nachahmerpräparate zu verbieten. Viele Menschen können sich in solchen Ländern aber keine teuren Medikamente leisten. Hier haben wir auch eine moralische Verantwortung!

Wie könnten Produktpiraterie bzw. Urheberrechtsverlettzungen ohne ACTA bzw. Überwachung verhindert werden?

Freude: Gerade im Bereich der Urheberrechtsverletzungen erleben wir, dass eine Art neuer Industriezweig aufgetaucht ist: die Abmahn-Industrie, die Kinder und Jugendliche mit teuren Abmahnungen überzieht und ein Millionengeschäft macht. Wir müssen aber ein modernes Urheberrecht schaffen und vor allem die Interessen der Urheber und der Nutzer stärken. Derzeit geht die Tendenz dazu, allein die Rechteverwerter mit immer mehr Macht auszustatten. ACTA zementiert einen falschen Trend.