Nürnberg
Nationalmuseum widmet sich der Deutschen Lieblingshobby

28.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:08 Uhr
Verhängnisvoll missbraucht hat man das Wandern gern. −Foto: Pelke

Nürnberg (HK) "Wanderland" nennt das Nationalmuseum eine Schau über die mal bewunderte, mal belächelte Leidenschaft der Deutschen.

Anstatt nur den Blick zurück auf die Wandergeschichte zwischen Waterkant und Watzmann zu werfen, sucht die Ausstellung, die am Freitag eröffnet wird, in der teilweise verhängnisvollen Wanderbegeisterung der Deutschen auch Antworten für die Motive der aktuellen Wanderliebe.

Spätestens mit der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert startet die deutsche Verklärung des romantischen Naturerlebnisses auf Schusters Rappen. Man denke nur an den berühmten "Wanderer über dem Nebelmeer" von Casper David Friedrich, den das Kuratorenteam um Volkskundlerin Claudia Selheim klugerweise in einer modernen Foto-Adaption von Lennart Pagel vom Pfälzer Wald aus dem Jahr 2017 in die genauso lehrreiche wie unterhaltsame Ausstellung integriert hat.

Für den Einzelnen mag das Wandern als Metapher des eigenen Lebensweges dienen. Für die deutsche Nation sei das Wandern dagegen immer wieder zum Ausdruck und Symbol ihrer geistigen Verfasstheit ge- und missbraucht worden, sagt Daniel Hess, Vize-Direktor des Nationalmuseums. Kulturgeschichtlich sei die deutsche Wanderfreude daher "hoch brisant", findet Hess.

"Auch der Führer wandert", plakatierte die Propaganda in der NS-Zeit. "Der Führer ist eigentlich gar nicht gerne gewandert", weist Kuratorin Claudia Selheim auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit hin. "Aber was tun Politiker nicht alles, um das Wandern medienwirksam einzusetzen. " Bereits Turnvater Friedrich Ludwig Jahn hatte dem Wandern im frühen 19. Jahrhundert eine dezidiert politische Dimension eingehaucht. Seine Jünger sollten nicht nur zur körperlichen Ertüchtigung und zur Festigung des Gemeinschaftsgefühls über Berge und Hügel und durch Täler und Wiesen streifen. Jahn wollte mit dem Wandern zur Erweckung des deutschen Nationalgefühls beitragen, schreiben die Ausstellungsmacher in dem hervorragenden Katalog, der zur "Wanderland"-Ausstellung begleitend erschienen ist.

Das scheint Jahn hervorragend gelungen zu sein. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hat es den Alpenverein schon lange gegeben. Jahn vermutete bei seinen Landsleuten angesichts der Wanderbesessenheit gar einen Wandertrieb, der den Charakter der Germanen seit der Völkerwanderung präge.

Auch demokratisch gesinnte Anführer haben auf das Wandern nicht verzichten wollen. Bundeskanzler Helmut Kohl soll sich häufig die Wanderschuhe geschnürt haben und beim Bergsteigen sogar politische Auswege aus Krisensituationen gesucht haben. Auch Gerhard Schröder ist als Wanderer vertreten. Werbewirksam im feinen Zwirn den Kontakt zum Volk nur noch symbolisch für die Kameras der Fotografen suchend.

Nach dem Imageverlust in den 90ern scheint das Wandern im 21. Jahrhundert angesagter denn je zu sein. Seit 2010 sprechen Statistiker sogar von einem "Wanderboom". Jeder zweite Deutsche soll sich heute regelmäßig die Wanderschuhe schnüren.