Manching
Nach Feierabend kommt die Angst

Abschiebung befürchtet: Wie zwei Friseurlehrlinge und ihre Chefin in Manching darunter leiden

01.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:32 Uhr
Und immer droht die Abschiebung: Basim Smail (24, links) und Wasik Yardaza (20, rechts) absolvieren bei Friseurmeisterin Eva Hoffmann aus Manching eine Lehre. Ihre Asylanträge sind abgelehnt worden, gegen die Bescheide laufen noch offene Klagen. −Foto: Richter

Manching (DK) Wenn Handwerksbetriebe jungen Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz anbieten, profitieren oft beide Seiten, denn der Fachkräftemangel nimmt ständig zu. Doch die Frage, ob es für den Nachwuchs eine (berufliche) Zukunft in Deutschland gibt, bedeutet eine sehr große Belastung. Ein Beispiel aus der Praxis.

"Wir Unternehmer werden von den Behörden kaum über Abläufe informiert, die Unsicherheit, wie es weitergeht, erstreckt sich über Monate und sogar Jahre", sagt Eva Hoffmann, Friseurmeisterin aus Manching (Kreis Pfaffenhofen). Anfangs sei es eine Zweckgemeinschaft gewesen, räumt sie ein: Im Herbst 2016 hatte sie einen Lehrling gesucht, doch niemand zeigte Interesse, in ihrem Friseursalon anzufangen. Über die Arbeitsagentur erfuhr sie von Basim Smail, heute 24 Jahre alt, im Irak aufgewachsen. Sie wollte ihm eine Chance geben, "auch wenn anfangs nicht alles einfach war". Heute geht es ihr nicht zuletzt um menschliche Aspekte.

"Ich habe nichts gesehen als Krieg", erzählt Basim Smail. Als Mitglieder der Jesiden - einer religiösen Minderheit im Irak - sah sich die Familie ständigen Anfeindungen ausgesetzt. "Da sind Männer getötet und Frauen verschleppt worden. Meinen Opa und meinen Bruder haben sie schwer verletzt, mich hat es auch einmal erwischt", erzählt der Mann und zeigt eine Narbe. 2013 floh er nach Deutschland, hat seinen Mittelschulabschluss gemacht und lässt sich nun zum Friseur ausbilden. Vor zwei Jahren hatten die Behörden seinen Asylantrag abgelehnt, seither läuft eine Klage gegen diese Entscheidung. "Ich fühle mich hier daheim und habe furchtbare Angst, dass ich wieder gehen muss", sagt der 24-Jährige.

Wenn Basim Smail nach Feierabend heimkommt, traut er sich nicht, den Briefkasten zu öffnen, aus Furcht vor der Ausweisung. "Am Anfang war er immer auf der Flucht vor sich selbst, immer unruhig", sagt seine Chefin. "In der Arbeit ist es besser, da bin ich abgelenkt", sagt der junge Mann. "Aber manchmal überlege ich bis in die Nacht hinein, wie es weitergeht." Er möchte seinen Beruf "unbedingt schaffen und die Sprache noch besser lernen", obwohl er sie bereits gut spricht. Seine Familie lebt ebenfalls in Deutschland, der Vater hat in Bielefeld längst seine Anerkennung erhalten. In Bayern gehen die Uhren eben anders.

Sein Kollege Wasik Yarzada ist Flüchtling im doppelten Sinn. Seine Eltern stammen aus Afghanistan, waren aber in den Iran geflohen, wo Wasik zur Welt kam. Im Oktober 2015 flüchtete er nach Europa, nachdem man versucht hatte, ihn als Kämpfer gegen den Islamischen Staat in Syrien anzuwerben. Der 20-Jährige lebt in Ingolstadt mit seiner Freundin zusammen und arbeitet seit 1. September bei Eva Hoffmann. Sein Asylantrag wurde ebenfalls abgelehnt, seine Anwältin Traute Ehlerding hat dagegen geklagt. "Die Chancen für ihn stehen aber ziemlich schlecht, denn er besitzt durch seine Familiengeschichte keine Geburtsurkunde. Die bräuchte er unbedingt, um überhaupt Aussicht auf ein Bleiberecht zu haben", sagt die Juristin. "Würde er nach Afghanistan ausgewiesen, wäre er ein Fremder im Land seiner Eltern, ohne Verwandte oder andere soziale Kontakte, weil er nur im Iran gelebt hat. Er spricht nicht mal die dortige Sprache richtig."

So treibt die Angst vor der Ausweisung beide junge Männer um, trotz aller Bemühungen, sich hier zu integrieren. Nicht minder unwägbar ist die Situation für Eva Hoffmann. "Wir soll ich als Unternehmerin planen?" Von Behördenseite erhält sie kaum Auskunft, einmal hatte sie sich direkt an Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gewandt. Die Antwort: Solange das Asylklageverfahren laufe, könnten die beiden Lehrlinge ihre Ausbildung fortsetzen. Werde ihre Eingabe abgewiesen, dürften sie nach der 3+2-Regel auf eine Duldung hoffen, um ihren Beruf fertig zu erlernen und ihn danach zwei Jahre auszuüben. Bei positivem Ausgang der Klage gebe es in der Regel ohnehin eine Aufenthaltserlaubnis, die zu jeder Art von Arbeit berechtige.

Das bringt die Friseurmeisterin nicht recht viel weiter. "Wir können keinen Sonderstatus erwarten. Aber es wäre trotzdem hilfreich, wenn man mehr Planungssicherheit hätte. Ich beschäftige zwölf Leute, da bedeuten zwei mehr oder weniger einen Unterschied", sagt die 44-Jährige. Auch menschlich ist ihr die Sache ein Anliegen, sind ihr die beiden doch ans Herz gewachsen. Gerade wegen des Fachkräftemangels sieht sie vornehmlich die Politik gefordert.

Die Manchingerin steht damit nicht allein. "Im oberbayerischen Handwerk sind aktuell 1522 Menschen mit Fluchthintergrund in Ausbildung, davon 177 in der Region Ingolstadt", sagt Jens Christopher Ulrich von der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Im Kammerbezirk seien 2017 rund acht Prozent der neuen Lehrlinge aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea, Somalia, Irak oder Syrien gekommen. "Sie sind wichtig, um freie Ausbildungsplätze zu besetzen. Deshalb sprechen wir uns für ein Einwanderungsgesetz für qualifizierte Fachkräfte aus. Menschen mit Fluchthintergrund, die sich durch eine Ausbildung oder qualifizierte Beschäftigung im Handwerk in unserem Wertesystem integrieren, sollte ein Bleiberecht eingeräumt werden."

Auf welcher Basis das erfolge, sei erst einmal zweitrangig. "Wichtig ist, dass Menschen, die in unseren Betrieben ausgebildet wurden und ihre Integrationsbereitschaft unter Beweis gestellt haben, bleiben können", findet Ulrich. "Sie werden als Mitarbeiter im Handwerk dringend gebraucht."

Horst Richter