Nach elf Stunden auf dem OP-Tisch begann das zweite Leben

11.01.2008 | Stand 03.12.2020, 6:13 Uhr

Kinderzimmer für Kathrin: Der Herz-Lungen-transplantierte Thomas Hiebl und seine schwangere Frau Barbara wollen das Dachgeschoss ihres Hauses ausbauen. Doch Geld ist knapp. - Foto: Stengel

Leidling (DK) Das zweite Leben des Thomas Hiebl beginnt am 19. Juli 2005. In einem elfstündigen Operationsmarathon im Münchener Klinikum Großhadern werden dem damals 36-Jährigen das Herz und die Lunge eines Fremden transplantiert.

Zu diesem Zeitpunkt liegt ein fünfjähriger Leidensweg hinter dem gebürtigen Mainburger. Sport war stets eine Leidenschaft des gelernten Schlossers. Beim FC Mainburg spielte er als Verteidiger und Stürmer. Im Training traten eines Abends auch erste Krankheitssymptome auf: Er ringt um Luft, seine Lippen und Finger verfärben sich bläulich. Doch Thomas Hiebl ist kein Mensch, der sofort in Panik gerät. Auch nicht, als der Arzt ihm eine Herzmuskelentzündung attestiert. Er lässt sich therapieren. Doch die Beschwerden kehren zurück. Die Ärzte stellen ihm 2000 eine fatale Diagnose: Primäre pulmonale Hypertonie (siehe Kasten). Ein Großteil seiner Lungenbläschen ist abgestorben. Die Mediziner bezeichnen seinen Zustand als ernst. "Ich wollte das nicht wahrhaben", erinnert sich der 39-Jährige heute. Erst drei Jahre später, als er seine Arbeit aufgeben muss, ob heftigster Atemnot aus eigener Kraft nicht mehr in den ersten Stock gelangt, das Haus ohne mobiles Sauerstoffgerät nicht mehr verlassen kann und ständige Ohnmachtsanfälle ihn heimsuchen, wird ihm bewusst, wie schlecht es um ihn steht.

Bedrohlicher Zustand

Weil er angesichts seiner akuten Krankheit ebenerdig wohnen und sich zumindest noch einen Lebenstraum erfüllen will, beschließen er und seine Freundin Barbara, die er bei den Prüfungen zum Kutschenführerschein in Marienheim kennen lernte, sich ein Haus zu kaufen. Als sie von dem alten Bauernhof erfahren, der im Burgheimer Ortsteil Leidling zum Verkauf steht, fackelt das Paar nicht lange und greift zu. "Meine medizinischen Werte waren zu diesem Zeitpunkt ziemlich gut", erinnert sich Hiebl. Doch es ist eine Chronologie des Schicksals, die ihren Lauf nimmt. Denn just eine Woche nach dem Notartermin erhält der junge Mann einen Anruf: Für ihn wurde ein Herz-Lungen-Spender gefunden. OP-Termin: sofort. In der Dringlichkeitsliste war er ob seiner Schwersterkrankung immer weiter nach oben gerutscht. Sein Herzmuskel war krankhaft angewachsen, "so groß wie ein Handball". Nach dem risikoreichen Eingriff ist sein Zustand bedrohlich schlecht, der 1,78-Meter-Mann Thomas Hiebl ist auf 58 Kilogramm abgemagert. "Es war lange nicht sicher, dass er überlebt", denkt Barbara (40) an ihre schwersten Stunden, in denen die Angst vor einer Abstoßungsreaktion im Körper ihres Liebsten allgegenwärtig war.

Doch Thomas gibt nicht auf. Sechs Monate dauert seine Genesung. Während der Reha in Berchtesgaden heiratet er Barbara. An seinen Arbeitsplatz wird er entgegen ersten Hoffnungen nicht mehr zurückkehren. Er ist extrem stressanfällig, zu 100 Prozent schwerbehindert, wurde für erwerbsunfähig erklärt. Ärzte haben ihm ein steriles Leben verordnet: Sein Immunsystem wird medikamentös auf Sparflamme heruntergefahren, sonst läuft er sofort Gefahr, dass die Organe abgestoßen werden. Staubpartikel, jeder Virus, jedes Bakterium können für einen Transplantationspatienten tödlich sein. Deshalb auch der tägliche Griff zum Fieberthermometer. Bei allem, was jenseits der 37,8-Marke liegt, gilt die Devise "Sofort ins Krankenhaus". Einmal hat er einen solchen Einsatz schon hinter sich. Und doch sagt er überschwänglich: "Mein Leben hat seit der OP wieder Qualität."

Dass die finanzielle Lage im Hause Hiebl aufgrund der Erwerbsunfähigkeit angespannt ist, hat das Ehepaar, das die Schulden für das Bauernhaus abzahlen muss, nie gestört. Dass man, auch wenn die Ungewissheit immer mitschwingen wird, eine gemeinsame Zeit vor sich hat, war viel wichtiger. Bis vor einigen Monaten. Barbara ist schwanger, am 8. April ist der Geburtstermin für Töchterchen Kathrin. Das Kind war nicht geplant. Dennoch freuen sich die Eltern in spe. Mehr als acht Wochen Mutterschutz kann sich die Buchhalterin, die in Augsburg arbeitet, nicht leisten. Und da ist noch eine andere Sorge: das Kinderzimmer, das ins Obergeschoss muss. Nackte kaminrote Ziegelwände, auf altem Gebälk ruhen dünne Dachplatten – keine Spur von Isolierung. Harte Arbeit wartet, die weder von Thomas noch von seiner schwangeren Frau selbst erledigt werden kann. Das Geld ist knapp.

Zu Weihnachten hat Michael Hiebl seinen Schwager überrascht: In der Ingolstädter Arztpraxis Dr. Günther Hudelmaier initiierte er eine Hilfsaktion, an der sich Angestellte, Patienten und weitere Praxen beteiligten. Sie spendeten 2051,45 Euro. Wenn er davon erzählt, ringt Thomas Hiebl vor Rührung mit den Tränen. 2008 ist für ihn ein wichtiges Jahr: Weil Ärzte ihm gesagt hätten, dass drei Jahre nach einer Transplantation das akute Stadium als überwunden gilt. Und – weil Kathrin kommt.