München
Mythos Jeanne d’Arc

Arthur Honeggers "Johanna auf dem Scheiterhaufen" in der Alten Kongresshalle in München

14.12.2012 | Stand 03.12.2020, 0:42 Uhr

München (DK) Es hat ihn wie ein Schlag getroffen: Der Dichter Paul Claudel wollte keinesfalls die von der Mäzenin und Künstlerin Ida Rubenstein vorgeschlagene Textvorlage vertonen – da hatte er plötzlich, auf einer Zugfahrt, vor Augen, wie ein Mädchen mit gefesselten Händen ein Kreuzzeichen schlägt. Claudel, der in seiner Zeit für eine Geistesströmung katholischer Intellektualität stand, konnte dieser Vision nicht widerstehen.

So will es der Entstehungsmythos – und dem Komponisten Artur Honegger blieb nur noch, das Libretto mit Musik zu erfüllen.

Das so entstandene Oratorium, 1935 uraufgeführt, ist hierzulande selten zu hören, und dass es nun auf dem Spielplan des Gärtnerplatztheaters zu finden ist, überrascht – hat sich der neue Intendant doch bisher vor allem als Freund und Könner der leichten Muse zu positionieren gewusst. Und nun also das Oratorium der französischen Nationalheiligen?

Zum einen hat sich 2012 der Geburtstag von Johanna von Orleans – oder Jeanne d’Arc, wie sie in ihrer Heimat heißt – zum 600. Mal gejährt. Vor allem aber ist dieses Oratorium ein zu Unrecht vergessenes Theaterexperiment: Ursprünglich sollte es Musik, Schauspiel, Tanz und Pantomime zusammenführen, und die Partitur ist sehr interessant besetzt. Es fordert Sprecher und Sänger, ein großes, um drei Saxofone erweitertes Orchester, gemischten Chor und Kinderchor. Weiter gibt es aber noch Feinheiten wie ein mit einer Metallstange präpariertes Klavier sowie das elektronische Saiteninstrument „Ondes Martenot“, das ein wenig wie eine singende Säge oder eine Windharfe klingt.

Das verspricht gutes Ohrenfutter und tatsächlich kann das Gärtnerplatzorchester in der alten Kongresshalle auf der Schwanthalerhöhe unter der musikalischen Leitung von Chefdirigent Marco Comin einen Klangteppich entfalten, der an Ausdruckskraft und Facettenreichtum kaum Wünsche offenlässt: Anklänge von Jazz und Volksmusik sind da zu erkennen, mal klingt es nach Synagogalmusik und dann nach den Trommelrhythmen und Fanfaren königlicher Empfänge, wie sie in Mittelalterfilmen gerne eingesetzt werden. Tatsächlich war Honegger ja auch in der Filmmusik bewandert.

Berückend aber, wie innig die Künstler an diesem konzertanten Abend diese Klaviatur bespielen – wobei besonders Julia Stemberger in der Titelrolle von einem brennen Eifer getrieben wird, der atemlos macht. Aber auch die Sänger des Ensembles – unter anderen Elaine Ortiz Arandes als Jungfrau Maria, Ann-Kathrin Naidu als heilige Margarethe oder Holger Ohlmann und Ferdinand von Bothmer in verschiedenen Männerpartien – setzen überzeugende Marken.

Schade zwar, dass die für dieses Oratorium von seinen Schöpfern angestrebte Vereinigung der verschiedenen Kunstformen bei dieser Aufführung nicht realisiert wurde – andererseits ist unsere Gegenwart ja sowieso ein ständig klingelndes, pulsendes und lichthupendes Gesamtkunstwerk. Vielleicht ist es also ganz gut, wenn man sich einfach einmal in dieser Klangwelle treiben lassen darf und die zwingende Lichtregie von Max Keller ist eigentlich auch schon visueller Anreiz genug.