Ingolstadt
Muskeln aus dem Internet

28-Jähriger bestellte sich illegale Dopingpräparate in großem Stil

09.05.2019 | Stand 23.09.2023, 6:56 Uhr
Auf 114,9 Kilogramm Muskelmasse brachte es der Angeklagte als die Polizei zur Razzia zu ihm kam, heute wiegt er 95. −Foto: dpa/Symbolbild

Ingolstadt (DK) Normalerweise spürt er den großen Dopingsündern des Weltsports hinterher, jetzt bekam aber auch ein kleiner Kreis am Ingolstädter Amtsgericht einen spannenden Einblick in die Welt der illegalen leistungssteigernden Substanzen von Detlef Thieme.

Der Chef des renommierten, von der Weltantidopingagentur WADA akkreditierten Analyselabors in Kreischa bei Dresden musste sich statt mit sündigen Spitzensportlern mit einem Hobby-Bodybuilder aus Ingolstadt beschäftigen, den seine Aktivitäten an der Hantelbank und im Internet vor den Kadi gebracht haben. Den Umstand kannte Thieme natürlich nicht, der als vom Gericht bestellter Sachverständiger nur mit der Auswertung einer anonymen Probe beschäftigt war.

Die musste ein 28-jähriger Fachinformatiker, der bis Ende 2016 im Raum Ingolstadt gelebt hat, bei der Polizei abgeben, da er auf der Kundenliste eines großen Dopingmittelhändlers aus Nordrhein-Westfalen auftauchte, als die Polizei diesen auffliegen ließ. Die Mengen des gebürtigen Ingolstädters ließen die Ermittler davon ausgehen, dass auch er mit den ihm zugesandten Mittelchen in unseren Breiten einen florierenden Handel betrieb. Insgesamt waren laut Anklage der Münchner Staatsanwaltschaft insgesamt 22 Bestellungen (zwischen Mai 2013 und Ende November 2017) für Lösungen, Tabletten und Präparate mit einem Kaufpreis zwischen 100 und 2400 Euro bei dem Internethändler aus NRW vermerkt, der nach seiner Festnahme ausgepackt hatte - und viereinhalb Jahre Gefängnis aufgebrummt bekam.

Um eine Haftstrafe kam dagegen der 28-jährige Ingolstädter herum, da die Prozessbeteiligten um Richter Günter Mayerhöfer und Verteidiger Klaus Wittmann (Levelingstraße) am Amtsgericht einen Deal vereinbarten: Für ein umfassendes Geständnis sollte der Bodybuilder mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Laut Anklage hatte er das fast 2000-fache der "nicht geringen Menge" zu Hause. Und zwar Dopingmittel, verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept und sogar höchst bedenkliche Arzneimittel.

Damit züchtete der 28-jährige seinen Körper intensiv hoch, angeblich um seinen Minderwertigkeitskomplex zu bekämpfen, wie er sagte. Im März 2017, als die Polizei zur Razzia einfiel, habe er 114,9 Kilogramm gewogen. Nach diesem einschneidenden Erlebnis mit dem Staatsapparat habe er nichts mehr bestellt und auch nichts mehr genommen. Inzwischen ist er auf knapp 95 Kilo herunter. "Das wird auch so weitergehen", sagte der junge Mann, der gezeichnet sei - und auch so wirkte - von dem Dopingmittelmissbrauch und dem intensiven Training. Seine Knie und Gelenke seien mehr oder weniger kaputt; ebenso seine Beziehung, da die Freundin den Besuch der Polizei nicht besonders witzig fand.

Einen Handel mit den Mitteln stritt der Angeklagte aber ab. Alle Stoffe seien zum Eigengebrauch gewesen. Diese Version konnte Dopingexperte Thieme nicht bestätigen, aber auch nicht ganz widerlegen. "Die große Zahl an Präparaten ist mit dem klassischen Konsum nicht vereinbar", so der Sachverständige. Bei 20 Kilogramm Gewichtsverlust nun in zwei Jahren sei der Bodybuilder aber sicherlich kein Anfänger. Dennoch: "Die optimistischsten Kuren kommen nicht an diese Zahlen heran", so Thieme zum Muskelaufbau. Beim klassischen Bodybuilder würden die Mengen "über Jahre reichen". Könnte also auf Handel hindeuten. Es blieben somit "Widersprüche, die sich nicht aufklären lassen" - zumindest nicht anhand einer Dopingprobe.

Eine weit umfangreichere Beweisaufnahme blieb allen Beteiligten aber aufgrund des Geständnisses des Angeklagten erspart. Ein Jahr und neun Monate Haft ausgesetzt zur Bewährung lautete letztlich seine Strafe. Zudem muss der Verurteilte noch 2000 Euro an den Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte überweisen. "Da ist das Geld viel besser angelegt, als so ein Zeug zu kaufen", sagte Richter Mayerhöfer.

Christian Rehberger