Musikdramatische Totgeburt

23.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:14 Uhr

Überambitioniert: Szene aus "Tragödie des Teufels" von Peter Eötvös und Albert Ostermaier an der Bayerischen Staatsoper. - Foto: Hösl

München (DK) Die Papierform des Auftragswerks der Bayerischen Staatsoper liest sich gut: Der anerkannte deutsche Dramatiker Albert Ostermaier schreibt ein Libretto für den renommierten Komponisten Peter Eötvös, der von großen literarischen Stoffen angezogen wird.

Doch die inhaltlichen Fakten dieser "Tragödie des Teufels" verursachen Schwindel: Eine Tragödie Luzifers, des gefallenen Oberengels, soll vorgeführt werden. In zwölf Szenen soll dabei vom "Prolog im Himmel" über das Paradies, die Wüste, eine moderne City, das antike Athen, über Rom, Bagdad, eine Shopping-Mall und einen Weltraumbahnhof abermals hin zur Wüste und einem "Jenseits von Eden" letztlich aber auch die Menschheitsgeschichte durchschritten werden – prototypisch durch Adam und Eva. Doch eine zentrale Rolle spielt Lilith, die mythische erste Frau Adams. Dazu passend eben auch eine Verführungs- und Erlösungsgeschichte und die Kreuzzugproblematik und die Frage nach der demokratischen Freiheit für Sklaven, und die Frage von Gewalt und Gewaltlosigkeit und die Problematik der Betäubung durch Luxus und Ausschweifung, und die Möglichkeiten der Chipimplantation zur Steuerung des Menschen und die Problematik des Prekariats und die Frage, ob neben vielen Science-Fiction-Anspielungen nicht doch alles eine "Matrix" ist und und und . . .

Dem Vernehmen nach musste Ostermaier dabei seinen Text von 140 Seiten auf 40 einkürzen. Komponist Eötvös hat dieses Libretto jetzt in einem 110 Minuten langen, pausenlosen Musiktheaterwerk gestaltet. Und das ganze Vorhaben scheiterte prompt an seinen oben umrissenen Ambitionen.

Albert Ostermaier wollte natürlich auch seine poetischen Fähigkeiten zeigen. Leider nur changiert nun seine Sprache durch alle möglichen Ebenen und verdunkelt die dramatische Richtung. Dass das gesungene Wort im szenischen Moment klarer verständlich sein muss – daran scheitern Librettist und Komponist.

Peter Eötvös hat für all die szenische Vielfalt einen enormen orchestralen Aufwand betrieben: Ein riesiger Schlagwerkapparat füllt den regulären Orchestergraben. Auf einem großen Podest im Bühnenhintergrund sitzt dann mit dem Kodirigenten Christopher Ward der Streicher- und Bläserteil des Opernorchesters. Das ergibt mehrfach schön irisierende, flirrende Raumklangwirkungen, speziell wenn die Chorsänger in Kreisaufstellung sich selbst auch noch drehen und "in den Raum" singen. Doch enttäuschte fundamental, dass Eötvös für die verschiedenen Stationen kaum unterschiedliche Klangwelten geschaffen hat. Auch die Singstimmen werden neben wenigen ariosen Momenten dominant mit Oktav- und Diskantsprüngen in der öden "Modernität" der abgelebten letzten 40 Jahre geführt.

Parallel dazu enttäuschte, dass das Ausstatter-Ehepaar Kabakov diese zigtausendjährige Menschheitsgeschichte in einem rotierenden Einheitsbühnenbild spielen ließ: Über einer Tempelwölbung aus hellen Ziegelsteinen war in weißem Marmorschick eine hohe Treppe gebaut, an einer Seite begrenzt durch symbolische Plastiken. Regisseur Balázs Kovalik fiel aber nicht mehr als eine "Auf und Ab"-Personenregie ein, ergänzt durch zahlreiche Hubpodeste für überraschende Auf- und Abtritte, gekrönt am Ende durch eine aus der bühnenbreiten Versenkung emporgezogene Fülle von Neugeborenen in "Fruchtblasen" aus durchsichtigem Plastik.

Amelie Haas’ Kostüme boten einen Luzifer in schwarzem Hemd, lachsfarbenem Anzug und goldenen Sportschuhen, eine Lilith im Lara-Croft-Look, Adam und Eva erst in fleischfarbenem Ganzkörperlatex, dann wechselnden Kostümen bis zu Adam im "Star-Trek"- Look. So gut das 13-köpfige Solistenensemble sang: Der Buh-freie, höfliche Beifall war angebracht, aber mehr als eine musikdramatische Totgeburt war nicht zu erleben.