Ingolstadt
Musik liegt in der Luft

Am Sonntag wäre Weltgästeführertag, doch er fällt aus - Hier ein kleiner Streifzug, passend zum Jahresmotto

18.02.2021 | Stand 22.02.2021, 3:33 Uhr
  −Foto: Hauser (Archiv), Hammer,privat

Ingolstadt - Sonnenschein, beseelende 12 Grad, Frühlingsluft nach unwirtlichen Winterwochen: Der nächste Sonntag soll richtig angenehm werden.

Wie bestellt für den Weltgästeführertag, den International Tourist Guide Day, der seit 1999 an jedem 21. Februar stattfindet. Das Motto lautet heuer "Musik liegt in der Luft. " Leider bleibt diesmal alles still. Die Führungen fallen wegen der Viruspandemie aus. In Ingolstadt hätten die Gästeführerinnen und Gästeführer an Orten mit sonoren Namen an musikalische Traditionen und Schätze der Stadt erinnert. Damit der Tag nicht ganz sang- und klanglos vorbeigeht, erzählt die Ingolstädter Gästeführerin Andrea Schiberna (Foto) stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen Geschichten aus der reichen Historie des Musizierens in Ingolstadt. Sie schickt voraus: Gesungen und aufgespielt haben die Schanzer immer gern - und sie pflegen diese Leidenschaft heute umso mehr: "Bei uns ist musikalisch schon was da! "

Meisterbläser in Nürnberg

1520 wurde die Balustrade des Pfeifturms vollendet: Die Bühne der Blasmusiker, die dort in jener Zeit nacheinander in alle vier Himmelsrichtungen spielten, gen Osten (zum Neuen Schloss hin) beginnend. Daher der klingende Name: Pfeifturm. Andrea Schiberna liebt ihn. "Er hat leider nicht die Bedeutung, die er haben sollte, was auch daran liegt, dass er schwer zugänglich ist. Ich versuche, den Pfeifturm immer in meine Gästeführungen einzubauen. "

Die 46-Jährige hat sich lange mit der Geschichte des städtischen Wach- und Musikturms befasst. Sie erfuhr, dass Auftritte von Ingolstädter Blasmusikern nicht etwa in Ingolstädter Quellen erstmals erwähnt sind, sondern 1474 in Landshut (dort spielten sie anlässlich der legendären Hochzeit Herzog Georgs des Reichen und der polnischen Prinzessin Hedwig) und etwas später in Nürnberg. So steht es in den Ratsprotokollen der Stadt. Wieso die Pfeifer aus Ingolstadt auch in Franken in die Hörner stießen, lässt sich anhand der bisher gesichteten Akten nicht rekonstruieren. "Vielleicht haben sie in Nürnberg ausgeholfen", sagt Andrea Schiberna, "aber da kann ich wirklich nur spekulieren. "

Bitte keine Luther-Lieder!

Aus dem Jahr 1559 ist eine Ingolstädter Stadtpfeiferverordnung überliefert. "Seither kennen wir Namen. " Hier sehe man eine Entwicklung: Umherziehende Musiker, die nach ihren Darbietungen auch noch mit dem Hut in der Hand Runden drehten, um ihre Existenz zu sichern, avancierten zu Bläsern im Dienst der Stadt mit vormodernem Beamtenstatus. Sie waren geistlich und weltlich im Einsatz, spielten auf Hochzeiten und Promotionsfeiern in der Hohen Schule ebenso wie in Gottesdiensten. Motetten an Sonn- und Feiertagen über der Stadt gehörten zum Pflichtprogramm - auf dem Pfeifturm.

Zwei den Bläsern auferlegte Regeln trübten - freilich je nach Gusto - die Harmonie: "Sie durften keine Wirtshaus- und keine Luther-Lieder runtertröten", erzählt Andrea Schiberna. Also zum Beispiel weder "Gigl, Geigl, no a Seidl" noch "Ein feste Burg ist unser Gott. " Da wäre auf Erden was los gewesen! Dissonanzen ohne Ende.

Gefürchtete Feuerhorn-Soli

Die zweite Funktion des Pfeifturms hat auch im weiteren Sinne mit Musik zu tun: Die Turmwächter gaben mit dem Feuerhorn Alarmstöße, wenn sie Flammen erspähten. Dieses Instrument, das die Bürger nie gerne hörten, ist im Stadtmuseum zu sehen. Die Bleichers waren die letzte Türmerfamilie, die hoch oben wohnte. 1937 stiegen sie für immer vom Pfeifturm herunter. 1972 wurde die Tradition des Pfeifturmblasens neu belebt. Ensembles aus der Region wechseln sich ab.

Militärische Zirkusmusik

Wenn man heute auf dem Pfeifturm steht, dringen Schlag Zwölf schöne Klänge hinauf: Sie kommen vom Glockenspiel am Weißbräuhaus in der Dollstraße. "Man hört die Melodie da oben super! ", berichtet die Gästeführerin. Es ist der bayerische Defiliermarsch, komponiert um 1850 von dem königlich-bayerischen Musikmeister Adolf Scherzer in Ingolstadt. Der Auftrag, für das 7. Infanterieregiment einen Marsch zu schreiben, sei ihm nicht leicht gefallen, erzählt Andrea Schiberna. Auf Eingebung hoffend, zog er durch die Stadt - bis er an einem Zirkus vorbeikam, der auf dem Paradeplatz gastierte. "Die Zirkusmusik hat ihn extrem inspiriert. " Tonsetzer Scherzer bearbeitete ein Motiv, das aus der Manege tönte, und unterlegte es mit einem militärtauglichen Takt, damit man schmissig drauf marschieren konnte. Heute werden mit dem Defiliermarsch bayerische Ministerpräsidenten allerorts hereingespielt. Seinen Ursprung hat das Werk in einem Zirkus.

Das Weißbräuhaus gibt es als Gaststätte seit 1874. Es lag viel Musik in der Luft: "Jeden Samstag Klavier und Geige. " Später wurde aufgelegt: In der Disco Why Not. 1993 sperrte sie zu. Das Gebäude entstand völlig neu. Seither erklingt täglich um 12 und um 17 Uhr das Glockenspiel. Adolf Scherzers Hit wird aber nur mittags geläutet.

Die Entdeckung Ingolstadts

Andrea Schiberna stammt aus Passau. 1998 zog sie nach Ingolstadt. Der Reiz des Neuen hielt sich in Grenzen, erzählt sie: "Mein Mann hat die Vorhut gebildet. Er rief an und sagte: ,Ich glaube nicht, dass diese Stadt das Richtige für uns ist. " Und sie war es doch: Gemeinsam erkundeten sie Ingolstadt, entdeckten einen Schatz nach dem anderen. 2017 legte Andrea Schiberna die Gästeführerprüfung ab. "Dadurch ist mir Ingolstadt richtig ans Herz gewachsen. " Wo will sie als Erstes hin, wenn Führungen wieder möglich sind? Für sie keine Frage: "Auf den Pfeifturm! "

DK