München
Museum 4.0

Bayerns Ausstellungslandschaft befindet sich im Umbruch: Expertin Astrid Pellengahr über Trends und Konzepte für die Zukunft

08.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr
Im Trend sind Museen mit lokaler Anbindung: Kinderführung im Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg. −Foto: Löchner/Landesamt für nichtstaatliche Museen

München (DK) Bald 1400 Museen gibt es in Bayern, das reicht vom Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg bis zum Waldmuseum in Zwiesel und von einem international beachteten Haus wie dem Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt bis zum Max-Reger-Gedächtniszimmer bei Tirschenreuth. An Vielfalt mangelt es jedenfalls nicht im Freistaat, eher wird es zur großen Herausforderung, das alles zu pflegen und zu erhalten.

"Bei stagnierenden, wenn nicht gar sinkenden Finanzmitteln", beobachtet Astrid Pellengahr. Als Leiterin der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen hat sie die Entwicklungen bayernweit im Blick. Ein Gespräch über neue Chancen für alte Häuser, Trends und Klickzahlen.

 

 

"Wenn die letzte Wirtschaft am Ort geschlossen hat, kann das Museum ein wichtiger Treffpunkt werden."

 

 

Frau Pellengahr, kann man die Gründung neuer Museen heute noch verantworten?

Astrid Pellengahr: Das hängt davon ab, ob die Finanzierung langfristig gesichert ist und welches Alleinstellungsmerkmal dieses Museum hat. Man braucht im Bayerischen Wald nicht das fünfte Glasmuseum im Umkreis von 50 Kilometern. So viele Besucher kann die Region gar nicht generieren.

 

Was wäre denn ein Haus mit attraktivem Alleinstellungsmerkmal?

Pellengahr: Das Deutsche Hutmuseum in Lindenberg ist so etwas Spezielles. Auch, weil dort die Ortsgeschichte am Beispiel der Hutindustrie miterzählt wird. Damit kann man auch auswärtige Besucher anziehen, bei manch anderen Themen und Rahmenbedingungen muss man das schon sehr kritisch hinterfragen. Das Geld für eine Museumsgründung bringt man in der Regel zusammen, aber der Katzenjammer setzt dann mit der Eröffnung ein.

 

Sie meinen die Kosten für den Betrieb.

Pellengahr: Ja, da sind wir rasch im hohen sechsstelligen Bereich - je nach Größe des Museums und dem heute so wichtigen Vermittlungsprogramm. Eine digitale Strategie gehört genauso dazu. Ein Trägerverein gerät da sehr schnell an seine finanziellen Grenzen. Deshalb empfehlen wir in der Landesstelle, im Vorfeld äußerst genau zu prüfen, was auf Dauer finanziert werden kann. Vom wissenschaftlichen Personal bis zum Erhalt der Objekte.

 

Das fällt naturgemäß leichter, wenn es ein starkes regionales Interesse an einem Haus gibt.

Pellengahr: Ich will Neugründungen ja gar nicht ausschließen. In den 1950er-Jahren hätte niemand gedacht, dass es in Augsburg jemals ein staatliches Textilmuseum geben würde, denn damals ging es dieser Industrie noch gut. Aber heute erfüllt das Haus eine wichtige identitätsstiftende Aufgabe für die Stadt. Und es ist ein guter Ort, um sich mit den Hinterlassenschaften vorhergehender Generationen zu beschäftigen. Das kann dann eine wunderbare Basis für die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart und der Zukunft sein.

 

Apropos Zukunft: In manchen Museen kann man bereits online durch die Sammlungen surfen. Wie wirkt sich das auf die Besucherzahlen aus?

Pellengahr: Ich denke, wir müssen die Besucherzahlen ganz neu denken. Bislang sind damit diejenigen gemeint, die in die Ausstellung kommen. Das ist richtig und das originale Exponat auch weiterhin wichtig. Untersuchungen zeigen aber, dass der digitale Besuch dazu keine Konkurrenz ist, sondern sogar neue Interessierte zu den Wissensschätzen der Museen finden.

 

Dann werden Museen bald auch an ihren Klickzahlen gemessen?

Pellengahr: Man muss immer fragen, woher der Bedarf nach Kennzahlen kommt. Es ist natürlich eine völlig verkürzte Sicht, wenn man das Museum und seine Potenziale nur an den Besucher- oder Klickzahlen misst. Das wissen Museumsleute sehr genau und hoffentlich auch ihre Träger. Gleichwohl stehen Museen immer unter diesem öffentlichen Druck, gute Zahlen liefern zu müssen. Sozusagen als Rechtfertigung, dass die Institution existieren darf.

 

Wie wollen Sie das ändern?

Pellengahr: Indem wir ein anderes Bild entgegensetzen. Das Museum hat noch viele andere Stärken, nämlich ein Ort der Begegnung zu sein, der das Reflektieren anregt. Das Charmante ist doch, dass da unbeabsichtigtes Lernen stattfindet. Und gerade Museen im ländlichen Raum haben eine ganz wesentliche Funktion. Wenn die letzte Wirtschaft am Ort geschlossen hat, kann das Museum ein wichtiger Treffpunkt werden. Und dann ist es nicht mehr entscheidend, ob nun 1000, 5000 oder 10000 Besucher im Jahr kommen.

 

Nun ziehen vor allem neu eröffnete Museen Publikum an.

Pellengahr: Die haben einen anderen Standard als die alten. Aber wirklich entscheidend für die Attraktivität ist ein auf lange Sicht didaktisch gut gemachtes, inhaltlich gut durchdachtes Haus. Nehmen Sie das Stadtmuseum in Burghausen, das sich seit ein paar Jahren grundlegend und zielgruppenorientiert neu ausrichtet. Auch in Friedberg oder Deggendorf wird das Stadtmuseum neu konzipiert, genauso steht Erlangen in den nächsten Jahren an.

 

Gerade in den kleineren Kommunen können die Häuser ihren Betrieb oft nur durch Ehrenamtliche aufrechterhalten. Aber die scheinen auszusterben.

Pellengahr: Das Ehrenamt verändert sich gerade grundlegend. Den ehrenamtlichen Kollegen, der mit 25 anfängt und dann die nächsten 50 Jahre dabeibleibt, wird es so in Zukunft nicht mehr geben. Mit der Tendenz zur Individualisierung nimmt die Bereitschaft ab, sich langfristig an eine Aufgabe zu binden. Aber gleichzeitig sind viele Menschen bereit, sich ehrenamtlich zu betätigen. Das Potenzial ist also da, wir brauchen allerdings eine neue Form des Ehrenamt-Managements.

 

Was liegt bei den Museen im Trend?

Pellengahr: Insgesamt gibt es ein anhaltend großes Interesse an gesellschaftlich relevanten und an historischen Themen. Das spiegelt sich nicht nur in den großen Ausstellungen wider, sondern auch in Fernsehformaten. Außerdem gibt es einen Trend zu naturkundlichen Museen.

 

Womit hängt das zusammen?

Pellengahr: Das sind die klassischen Familienmuseen, die ihr Publikum inzwischen auf sehr intelligente Weise ansprechen. Und gerade in Bayern sind auch die Freilichtmuseen unglaublich beliebt, da man den Besuch schön mit einem Ausflug verbinden kann. Genauso finden archäologische Themen ihr Publikum, wenn sie für Laien interessant aufbereitet sind.

 

Welche Häuser haben Zukunft?

Pellengahr: Ich glaube, das hängt gar nicht so sehr von der Art des Museums ab, sondern von den Aufgaben, die ein Museum für den Ort erfüllt. Andernfalls würden wir die kleinen Museen abhängen, das wäre fatal und auch falsch. Denn sie erfüllen im ländlichen Raum wichtige Funktionen. Und ein Museum, das professionell kommuniziert und inhaltlich fundierte Ausstellungen zeigt, wird immer sein Publikum finden.

 

Die Fragen stellte Christa Sigg.

 

 

ZUR PERSON

Die studierte Volkskundlerin Astrid Pellengahr, Jahrgang 1967, hat von 2002 bis 2014 das Stadtmuseum in Kaufbeuren geleitet und für verschiedene Häuser neue Konzepte entwickelt. Seit März 2014 ist sie die Leiterin der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern.