Motorengenie und Machtmensch

27.08.2019 | Stand 02.12.2020, 13:12 Uhr
Ein strenger Blick, den viele Mitarbeiter im VW-Konzern fürchteten. Das Urteil von Ferdinand Piëch war meist gnadenlos - und konnte Karrieren jäh beenden. −Foto: Murat/dpa

Mit Ferdinand Piëch verliert die Autowelt einen genialen Techniker und visionären Unternehmer. Er führte den Ingolstädter Autobauer Audi in die Oberliga, schmiedete aus Volkswagen einen Weltkonzern. Doch seine Herrschaft hatte auch dunkle Seiten.

Er war kein Mann der vielen Worte. Die Aussagen von Ferdinand Piëch waren meist knapp, dafür schneidend scharf formuliert. So mancher Satz, der über seine Lippen kam, glich einer Hinrichtung, beendete Managerkarrieren in Sekundenbruchteilen. Kaum jemand hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Automobilbranche derart geprägt wie der Enkel von Ferdinand Porsche. Piëch steuerte die Marke Audi in die Oberliga, formte aus Volkswagen einen Weltkonzern. Er war genialer Ingenieur und kühler Machtmensch. Er wurde bewundert und gefürchtet. Am Sonntag ist der langjährige VW-Patriarch gestorben. Er wurde 82 Jahre alt.

In Erinnerung bleiben wird er nicht nur als technischer Perfektionist, sondern auch wegen legendärer Aktionen. So wie im Mai 2009 - da ist er bereits 72 und VW-Aufsichtsratschef. Am Rande einer Fahrzeugpräsentation auf Sardinien sägt er im Handstreich den damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ab. Mit dem verbalen Skalpell. Auf die Frage der Journalisten, ob Wiedeking noch sein Vertrauen genieße, antwortet Piëch: "Zur Zeit noch." Um kurz darauf trocken nachzuschieben: "Streichen Sie das ,noch'!"

Doch Piëch hat noch eine andere Seite, fördert Karrieren - so wie die von Rupert Stadler. Der leitet ab 1997 fünf Jahre lang Piëchs Büro, lernt dort die Machtwelt des Konzerns kennen. Mit gerade einmal 43 Jahren erklimmt Stadler 2007 die Audi-Spitze und wird sich dort elf Jahre halten - nicht zuletzt dank Piëchs Unterstützung.

Die Welt, die der Perfektionist Piëch um sich herum schafft, duldet keinen Widerspruch. "Wesentlich ist, dass das Orchester spielt", sagt er einmal in einem Interview. "Wenn einer anders spielt als der Rest, dann funktioniert das nicht." Auch wenn er in einer reichen Familie aufwächst - er hat es nicht immer leicht. Denn er ist "nur" ein Piëch, kein Porsche. Doch er lernt sich durchzusetzen - mit aller Härte.

Geboren wird Ferdinand Piëch am 17. April 1937 in Wien. Er ist das dritte Kind des Anwalts Anton Piëch und seiner Frau Louise, der Tochter von Ferdinand Porsche - dem Gründer des weltbekannten Sportwagenbauers. Seine Schulzeit verbringt er im Schweizer Internat Lyceum Alpinum Zuoz im Engadin. Im Anschluss studiert er Maschinenbau an der ETH Zürich - seine Diplomarbeit schreibt er über die Entwicklung eines Formel-1-Motors.

1963 tritt Piëch in die Firma Porsche ein - schnell arbeitet sich der kluge Kopf nach oben. 1965 wird er Entwicklungschef, 1971 technischer Geschäftsführer. Sein Meisterstück wird der Porsche 917, konstruiert von Hans Mezger - aber mit viel Unterstützung von Piëch. Das Auto wird einer der erfolgreichsten Rennsportwagen der 1970er-Jahre. Der aufstrebende Ingenieur sieht sich damals schon auf halbem Weg zum Porsche-Chef - doch aus dem Plan wird nichts. Die Familie beschließt, dass sich sämtliche Familienmitglieder aus der Geschäftsführung fernhalten müssen. Ein herber Rückschlag.

Doch Piëch lässt sich nicht ausbremsen. 1972 gründet er in Stuttgart ein eigenes Ingenieurbüro und entwickelt für Daimler einen Fünfzylinder-Dieselmotor. Noch im selben Jahr wechselt er nach Ingolstadt zur damaligen Audi NSU Auto Union AG. Sein erster Titel dort klingt etwas sperrig: "Hauptabteilungsleiter für Sonderaufgaben der technischen Entwicklung". Ein halbes Jahr später wird er "Bereichsleiter für den Gesamtversuch", um kurz darauf zum Leiter der technischen Entwicklung aufzusteigen.

Zu diesem Zeitpunkt haftet Audi das "Hosenträgerimage" an. Mit der Marke verbindet man biedere Fahrzeuge, deren Fahrer auf der rechten Autobahnspur schleichen. Die Oberklasse teilen sich damals Mercedes und BMW unter sich auf. Doch Piëch drückt aufs Gas. Er implementiert den permanenten Allradantrieb im Pkw. Der Audi Quattro sorgt in den 1980er-Jahren in der Rallye-Welt für Furore. Die Marke bekommt ein sportliches Image.

Doch nicht nur viel PS und Allradantrieb sollen den Wandel bringen. Piëch erkennt auch, dass Ressourcen begrenzt sind. Er setzt auf Leichtbau, sparsame Motoren - und einen besonders guten cw-Wert. Sein Vorbild: der extrem windschnittige Pinguin. Vor allem aber weiß Piëch um den hohen Wert von Qualität für eine Marke. "Wenn die Qualität nicht überzeugend ist, kann man Optik, Fahrwerte und alles andere vergessen", sagt er einmal. Unter anderem liegt sein Augenmerk auf Spaltmaßen - wodurch er sich den Spitznamen "Fugen-Ferdl" einhandelt. 1988 wird er Audi-Chef.

Fünf Jahre später wechselt er als Vorstandsvorsitzender zu VW und schmiedet aus dem kriselnden Hersteller einen Autokonzern von Weltrang. Piëchs größter Sieg wird der Gewinn der Übernahmeschlacht mit Porsche. Später steigt er zum Aufsichtsratschef auf.

Im April 2015, einige Monate vor Bekanntwerden des Dieselskandals, entzieht er seinem langjährigen Statthalter Martin Winterkorn das Vertrauen. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", lässt er sich zitieren. Ob er da schon weiß, was auf den VW-Konzern zurollt? Am Ende verliert er den Machtkampf mit Winterkorn, gibt seinen Aufsichtsratsposten auf. Später verkauft er seine VW-Anteile, zieht sich ins Privatleben zurück. Um den Mann der wenigen Worte wird es still. Doch seinen Platz in den automobilen Geschichtsbüchern hat der Vater von 13 Kindern sicher.

"Er hat Audi zum Aufstieg verholfen"

Er kannte Ferdinand Piëch sehr gut und war lange Jahre freundschaftlich mit ihm verbunden: Fritz Peters, Unternehmer und Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer Ingolstadt, lernte den damaligen Audi-Chef bei den Rotariern kennen. "Ich wurde 1986 Mitglied und erlebte ihn als sehr zurückhaltenden, aber immer aufgeschlossenen und humorvollen Menschen", so Peters. "Sein plötzlicher Tod hat mich erschüttert, denn er kam für uns völlig überraschend."

Ferdinand Piëch habe Audi als Technik-Vorstand und später als Vorstandsvorsitzender zum Aufstieg verholfen, so Peters: "Seine Bedeutung war gigantisch. Vor seiner Zeit hieß es: Opel, Ford, Audi. Piëch hat es geschafft, dass man sagte: Audi, Mercedes, BMW." Er sei ein Visionär gewesen und habe den Allradantrieb durchgesetzt. Vom Aufstieg Audis habe die ganze Region um Ingolstadt profitiert, betont der Chef von Gebrüder Peters Gebäudetechnik. "Ein großer Teil der mittelständischen Wirtschaft ist mitgewachsen - auch unser Betrieb. Audi hat für Wohlstand gesorgt."

Ingolstadt war mehr als 20 Jahre lang Piëchs Heimat, die Familie lebte an der Gerolfinger Straße. "Ingolstadt hat ihn sehr interessiert und war ihm wichtig", sagt Fritz Peters. Er habe auch am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Der Rotary Club lag ihm besonders am Herzen - 1988/89 war Ferdinand Piëch Präsident. "Damals war er Audi-Chef, hat aber trotzdem an fast allen wöchentlichen Treffen teilgenommen und sie geleitet. Oft kam er mit dem Flieger und landete in Manching." Als Rotary International 2005 das 100-jährige Bestehen feierte, habe Piëch eine Festansprache in Ingolstadt gehalten. "Dafür hat er sofort andere wichtige Termine abgesagt", erinnert sich Peters. "Wir waren beide Autonarren - darum hatten wir sofort einen Draht zueinander. In früheren Zeiten hatte er immer Spaß an Porsche - und die Autos waren immer schwarz."