Motivator statt Humorator

26.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:52 Uhr
Eher versöhnlich als angriffslustig gab sich Grünen-Chef Robert Habeck gestern bei seinem Auftritt im Rahmen des politischen Aschermittwochs der Grünen in Landshut. −Foto: Binder

Grünen-Chef Robert Habeck begeistert das Publikum in Landshut. Definitiv nicht

 

Landshut - Während die CSU in Passau die Grünen zur Hauptzielscheibe ihrer Attacken macht, wählt deren Vorsitzender Robert Habeck in Landshut die ultimative Gegenstrategie: Er poltert nicht. Nordlicht Habeck - der Tradition des Derbleckens ohnehin nicht sehr zugetan - erhebt sich über die Niederungen politischen Streits und ruft zum Jubel der begeisterten Menge: "Halten wir Reden über Zuversicht! Nicht über Bepöbelung! Reden wir über Chancen, nicht über Gegner!" Und Habeck geht noch weiter: "Reden wir nicht über uns! Reden wir nicht über die Grünen!" Nur um den Nutzen für die Gesellschaft solle es gehen. Parteien seien kein Selbstzweck, sondern dienten diesem Ziel.
Wie ein Motivationscoach schreitet er die Bühne ab in den Bernlochner Sälen in Landshut. Habeck trägt Alltagsklamotten, Pulli und Jeans. An der Wange ein kleines Bügelmikrofon. Er gestikuliert energisch, redet frei und schnell, ganz ohne Notizen. Die Botschaft: Hier spricht ein Überzeugter, einer dem es auf den Inhalt ankommt und der um sich selbst kein Aufhebens machen will. Habeck spricht von Versöhnung und Ausgleich, von Selbstkritik und einer Streitkultur mit Anstand.
Der Andrang in Landshut ist für Grünen-Verhältnisse in Bayern gewaltig. 500 Zuhörer verfolgen die Reden im Saal, noch einmal 100 müssen sich vor der Tür mit einem Bildschirm begnügen. Noch nie sei die Nachfrage so groß gewesen, erklärt Grünen-Sprecherin Daniela Ewers.

Habecks Rhetorik der Friedfertigkeit kommt an. "Genauso ist es, genauso!" rufen verzückte Zuhörer. Dabei sind Habecks Botschaften durchaus radikal: Er verlangt ein "ganz neues Denken", fordert "eine Politik, die sich traut, die Systeme von innen zu ändern". Habeck spricht von einem Update der Gesellschaft, von neuen Antworten auf alte Fragen.
Im Kern geht es ihm darum, Ökologie und Ökonomie zu versöhnen. Die Automobilwirtschaft habe Deutschland reich gemacht, manövriere sich aber ohne Umsteuern in die Sackgasse. "Indem wir den Status quo bewahren, werden keine Probleme gelöst, sondern die Probleme der Gegenwart verschärft", warnt er. "Und was früher richtig war, ist kein Garant für morgen."
Einen Systemwechsel verordnet er auch der Landwirtschaft, die in beispiellos erfolgreicher Weise die Nahrungsmittelversorgung sichergestellt habe, dafür aber den hohen Preis der immer intensiveren Bewirtschaftung zahle. "Dieses System richtet sich gegen sich selbst", warnt Habeck und fordert: "Bezahlen wir die Landwirtschaft dafür, dass sie Landwirtschaft im Einklang mit der Natur macht." Als Kardinalfehler bezeichnet er eine Agrarpolitik des "wachse oder weiche", wofür er auch den Beifall einer Bauerndelegation erhält, die zu Beginn der Veranstaltung ihrem Unmut Luft macht.
Ein Herzensthema Habecks ist der Kampf gegen rechtsextremen Terror. Zu lange sei dies als Nischenthema verharmlost worden. Doch sei gegen solchen Hass der "volle Druck des Staates" nötig. "Bringen wird die Nazis hinter Schloss und Riegel", fordert Habeck mit Blick auf die Vielzahl nicht vollstreckter Haftbefehle in rechtsextremen Kreisen. Er appelliert an die bayerische Zivilgesellschaft und verlangt ein Stoppzeichen dort, wo "Volksmund zu Volksmundgeruch" wird.

Doch ausgerechnet in dieser Zeit des so wichtigen Kampfes gegen Rechts konstatiert Habeck einen "Komplettausfall der Volksparteien". Während sich die SPD in Sehnsucht nach Bedeutungslosigkeit suhle, versinke nun auch die Union im Chaos. Wie ein treibendes Schiff ohne Ruder, ohne Anker und ohne Ziel beschreibt Hanseat Habeck die Regierung. Die CSU sieht er - in einem kurzen Ausflug in Aschermittwochs-Rhetorik - nur als "große Regionalpartei" und Markus Söder höchstens in München als "Löwen", der - in Berlin - zum Kätzchen mutiert.
Von der "erbarmungswürdigen" Führung in Deutschland seien keine Antworten zu erwarten, weshalb dies nun die Grünen zu übernehmen hätten, erklärt Habeck. Für die Grünen scheint er das fast eher als Bürde, denn als Verheißung zu sehen, denn - so Habeck: "Dafür sind die Grünen nicht gegründet worden."
Immerhin hält er die Grünen für Profis beim "Führen im Team" und sieht auch gleich eine gute Gelegenheit, dies zu demonstrieren: Am 15. März sind Kommunalwahlen, wie keiner der Redner zu erwähnen vergisst.

DK