Pfaffenhofen
"Morgen bin ich traurig"

Das Ende der Pfaffenhofener Künstlerwerkstatt hinterlässt Wehmut bei Gästen und Musikern

10.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:21 Uhr
Linda Rosenberger
Alles muss raus: Mit der Versteigerung von Kunstwerken aus der Künstlerwerkstatt wurde das Ende der Jazz-Schreinerei eingeleitet (oben). Die Musiker Christoph Hörmann (Foto links unten, von links) und Sebastian Nay waren schon beim ersten Konzert vor mehr als 20 Jahren dabei. Schreinereibesitzer Wacky Singer (unten rechts) wird sich in den kommenden Wochen erst einmal verstecken: Er will mit dem Erlös der Versteigerung auf Reisen gehen. −Foto: Rosenberger

Pfaffenhofen (PK) "Ja ist denn heid scho Weihnachten?" - In der Pfaffenhofener Künstlerwerkstatt war es das am vergangenen Freitagabend auf gewisse Weise tatsächlich schon, denn da lud die Schreinerei gegenüber des Hauptbahnhofs zu ihrem großen Abschiedsfest ein - der "Last Christmas Session".

Nach mehr als 20 Jahren Konzerten sollte dort alles so enden wie es begann: mit einer großen Abschiedsfeier beziehungsweise der "Last Christmas Session" - mitten im Juni.

Zum letzten Mal knirscht der Kies im Hof unter den Füßen der zahlreichen Besucher. Zum letzten Mal sammeln sich Saxofon, Trompete und Co auf der Bühne. Zum letzten Mal hallen Jazzharmonien von den Holzbalken im Inneren der Schreinerei wider. Denn nun ist es offiziell: Die Künstlerwerkstatt wird ihre Tore verschließen - sehr zum Bedauern aller Gäste.

Für sie war das Areal ein Gesamtkunstwerk, das vor allem durch die Menschen stetig gewachsen sei. Vor allem die ungezwungene, familiäre Atmosphäre würden sie vermissen, hieß es. Denn die könne so wohl kein anderer Ort erzeugen. "Jeder ist traurig, weil es einfach eine Institution war", resümiert das Publikum.

Dass Wacky Singer eines Tages zum Gesicht dieser Institution werden sollte, war so weder geplant noch gewollt. "In der Schule war mir nur klar, dass ich nicht mehr auf die Schule gehen will", kommentiert er. Danach folgten Zivildienst, verschiedene Gelegenheitsjobs, ein bisschen - in seinen eigenen Worten - "Rumtreiben" und die Arbeit als Zimmerer, bevor er 1995 entschied, seine eigene Schreinerei zu eröffnen. Für die Einweihungsparty lud er unter anderem die Musiker Sebastian Nay und Christoph Hörmann ein, die für die damals noch geschlossene Gesellschaft spielten.

So kam der Stein ins Rollen. Wenig später, im Dezember des gleichen Jahres, folgte die erste öffentliche"Christmas Session" - damals im Dezember und mit "drei, vier Musikern, die einfach Bock gehabt haben und noch ohne Bandnamen spielten", erinnert sich Wacky Singer. Wie heute ging es ihm dabei auch damals in keiner Weise um den Profit, sondern um die Freude.
Zu dem Zeitpunkt konnte noch niemand vorhersehen, dass sich Singers Schreinerei innerhalb kurzer Zeit zur Jazz-Hochburg entwickeln würde. "Wir haben einfach Spaß gehabt und immer weiter gemacht", erzählt er.

So waren in den vergangenen Jahren in seiner Jazz-Schreinerei einige internationale Größen zu Gast wie Geoff Goodman und Carlos Bicaso oder renommierte Formationen wie das Andromeda Mega Express Orchestra. Für den krönenden Abschluss am Freitag holte sich Singer nochmal mehrere alte Bekannte auf die Bühne. Das waren - neben Ernst Techel am Bass und Paul Brände an der Gitarre - Schlagzeuger Sebastian Nay und Saxofonist Christoph Hörmann.

Die beiden erinnern sich noch an die erste Stunde der Künstlerwerkstatt, wie sie mit einem Besen auf einer Pizzaschachtel gespielt und einfach Blödsinn gemacht hätten. Aus diesem Schabernack sollte sich tatsächlich etwas Großes entwickeln. "Nach einem Konzert haben wir gar nicht mehr aufgeräumt, sondern einfach weitergespielt", sagten die zwei. Bis in die frühen Morgenstunden hätte sich das gezogen.

Dass diese Ära nun endet, geht auch an den beiden Quasi-Stammmusikern der Künstlerwerkstatt nicht spurlos vorbei. "Im Moment will ich den Abend einfach nochmal genießen. Morgen bin ich dann traurig", ahnt Nay. Das Ende bedeute nicht nur für ihn persönlich einen Verlust, sondern für die ganze Szene. "Es hat schon was Woodstock-mäßiges", beschreibt Hörmann die besondere Atmosphäre in der Künstlerwerkstatt, von der sich andere ebenfalls anstecken ließen. So soll das Ambiente auch den Amerikaner Arthur Kell zu einem Song inspiriert haben, den er passend zu dem außergewöhnlichen Spielort "Pfaffenhofen" genannt habe. Auch Gary Smulyan, der das letzte offizielle Konzert vor der Abschlussfeier gespielt hatte, hat der Wehmut gepackt. "Er hatte schon eine Träne im Knopfloch", erinnert sich Nay an die Reaktion seines Musiker-Kollegens, nachdem diesem bewusst wurde, an welch bedeutungsvollem Ort er gespielt hatte.

Ein Ort, dem man gebührend "Lebe wohl" sagen muss. Entsprechend wird die große Abschiedssause von einem weiteren Höhepunkt umrahmt: Einer Versteigerung, bei der verschiedenste Kunstgegenstände aus der Werkstatt unter den Hammer kamen. Und über die Jahre hatte sich einiges angesammelt: von Holzskulpturen über Tische bis zu Lampen. Wacky Singer ist gespannt, wie viel er loswird - schließlich ist das mitentscheidend, wie die nächsten Monate bei ihm aussehen. Er möchte auf Reisen gehen, sich einfach treiben lassen oder seinem Herzen folgen. "Es geht darum, mit dem Weg, den man geht oder der Kunst, die man macht, zu sich selbst zu finden", erklärt er seine Pläne. Und eben jene Kunst soll auch einen Teil seiner Reise finanzieren. "Mal schauen, wie weit ich komme, obs bis zum Gardasee reicht", lacht Singer.

Seine Werkstatt will Singer nun aus persönlichen Gründen aufgeben. "Klar, dass ein weinendes Auge immer dabei ist, denn es ist schon ein ganzer Lebensabschnitt, der jetzt zu Ende geht", gesteht der Künstler. "Da ist schon auch ab und zu Trauer. " Trotzdem lasse er jetzt gerne los, ohne allzu wehmütig zu sein. "Man muss loslassen können, um Neues anfangen zu können oder sich weiterzuentwickeln", meint Singer.

So ganz scheint er sich allerdings doch nicht von der Künstlerwerkstatt trennen zu können: "Wir haben eine Institution geschaffen, das sollte man nicht aufgeben", meint er. So sei man an einem Punkt angekommen, an dem es schade wäre, einfach hinzuschmeißen. Und Pfaffenhofen habe es verdient, dass es eine gute Location gebe, an der weitere Konzerte stattfinden können. Dementsprechend will sich Wacky Singer nach seiner Reise auch weiterhin genau dafür einsetzen. "Wir werden schon versuchen, mit dem Rest der Mannschaft das Ganze wiederzubeleben", kündigt er an. Das gesamte Gremium des Vereins der Künstlerwerkstatt sei nun also gefragt, müsse sich zusammensetzen und entscheiden. Und so lange es läuft, wird auch Wacky dabei bleiben, vespricht er. Es darf also gehofft werden.

Egal, was kommt oder wie es weitergeht: Wenn es weiterhin einen ähnlichen Spielort gibt, wäre das für die Zuschauer garantiert ein schönes Geschenk oder wie Weihnachten und Ostern zusammen. Und wie die "Last Christmas Session" gezeigt hat, kann man solche Feste ja in jedem Monat feiern.

Linda Rosenberger