Ingolstadt
Monolog-Marathon im Pius-Viertel

Treffen der OB-Kandidaten gerät mehr zum Meinungsaustausch als zur Diskussion - Zwei Mal kracht es kurz

30.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:16 Uhr
Hier war Ausdauer gefragt: Der Meinungsaustausch der OB-Kandidaten am Mittwochabend im vollbesetzten Stadtteiltreff des Pius-Viertels dauerte fast vier Stunden. Von links: Christian Lange (BGI), Christian Pauling (Die Linke), Karoline Schwärzli-Bühler (SPD) als Vertreterin des schwer erkälteten Christian Scharpf, Jürgen Köhler (UDI), Petra Kleine (Grüne), Raimund Köstler (ÖDP), OB Christian Lösel (CSU), Hans Stachel (FW) und Jakob Schäuble (FDP). Henry Okorafor (GLI) ist derzeit verreist. −Foto: Hammer

Ingolstadt - Die Parteisoldaten müssen natürlich bis zum Ende ausharren; sie können ihre Kan-didatenkameraden nicht einfach zurücklassen.

Wie schaut denn das aus, wenn man sich davonschleicht? Das sieht ja jeder in dem kleinen Saal. Also bleiben sie tapfer sitzen, die Besucher der Bewerberdebatte im Stadtteiltreff Pius-Viertel, auffällig in Parteien-Fanblocks sortiert, und erleben neun Lokalpolitiker, die vier Stunden lang mal mehr, mal weniger schmissig ihre Ansichten vortragen. Ein Monolog-Marathon für besonders ausdauernde Freunde der politischen Diskursarbeit. Und die sind mehrheitlich fortgeschrittenen Alters. Junge Leute sieht man fast keine.

Einige Besucher ohne Parteibindung nutzen die Pause nach zweieinhalb Stunden (in denen es wie angekündigt im Wesentlichen um das Pius-Viertel geht) für einen eleganten Abgang. So werden ein paar Stühle frei. Die Dichte im Saal sinkt von nahezu überfüllt auf vollbesetzt. Ab 21.45 Uhr geht es um explosive Ingolstädter Themen: Korruption, der Fall Alfred Lehmann (alte und neue Vorwürfe), diverse Skandale, die offenbar wenig anheimelnde Stimmung in der Stadtverwaltung und noch einige von der Opposition gern beackerte Minenfelder. Das kann dauern. Und tut es auch.

Außenstehenden fällt es vermutlich nicht immer leicht, den komplexen, oft minutenlangen Ausführungen der Kandidaten zu sperrigen Themen zu folgen. Als Christian Lange (BGI) mit einer Standardattacke ("Hinterzimmerpolitik" in den städtischen Beteiligungsgesellschaften) loslegt, löst er einen selbstreferenziell-speziellen Fachdisput über Transparenz aus, bei dem nicht eingeweihte Bürger wohl kaum mehr durchblicken.

Petra Kleine (Grüne) und OB Christian Lösel (CSU) steigen mit ihrer geballten Faktenkunde ein. Es folgen die nächsten vielminütigen Monologe. Über unerhörte Begebenheiten in Gremien, Fluch und Segen der Korruptionsvorbeugung oder die geheimnisvolle Welt der Zweckverbände und Aufsichtsräte, die auch an diesem Abend im Pius-Viertel ein Mysterium bleibt, was vielleicht sogar besser so ist. Bürger, die den Beteiligungsbericht der Stadt nur ab und zu als Bettlektüre studieren oder den Prozess gegen Lehmann nicht in Gänze verfolgt haben, tun sich da mit der Anschlussfähigkeit eher schwer.

Gegen 22.30 Uhr sieht es für einen Moment so aus, als käme es zu einer Diskussion zwischen den Kandidaten: Christian Pauling (Die Linke) zankt Christian Lösel an, fordert ihn scharf dazu auf, für alle heiklen Vorkommnisse und was sonst noch so als Verdacht durch die Stadt geistert, die politische Verantwortung zu übernehmen (sein zentrales Argument: "Weil das alles einfach scheiße aussieht! ").

Lösel übt später Revanche, nennt die Linken "eine radikale Partei". Zur Distanzierung der CSU von seinem Amtsvorgänger Lehmann, die er mitunterzeichnet hat, will er "gar nichts mehr weiter sagen", dafür viel anderes um so lieber. Der Oberbürgermeister reagiert auf die Vorwürfe mit einem zehnminütigen Monolog im Stil einer Regierungserklärung. Die Essenz lässt sich so zusammenfassen: Er tue, was er könne, um aufzuklären. Korruption sei schlimm, aber nicht auf eine Partei beschränkt. Nicht zuletzt: Die gerichtsrelevanten Vorgänge im Fall Lehmann und andere brisante Ereignisse lägen allesamt lange vor seiner Amtszeit.

Eine kurze, krisenhafte Abwechslung deutet sich an, als Christian Lange und Bürgermeister Albert Wittmann (CSU, als Zwischenrufer im Publikum) fast den Eindruck vermitteln, sich gleich zu prügeln. Interessierte Betrachter erleben Politiker, die sich hassen, wie sich Politiker nur hassen können. Doch es geht noch mal gut.

Gegen 22.45 Uhr scheint Gott ein Zeichen zu senden. Jedenfalls schreitet jetzt einer seiner Diener ein: Martin Geistbeck. Der Pfarrer von St. Pius ruft mit einem Bibelwort zum Frieden auf, lässt sein Pius-Viertel hochleben (großer Beifall) und leitet eigenmächtig zur Schlussrunde über, "weil ich dann heimgehen würde und die Besucher sicher auch". Moderator Hannes Langer ehrt Geistbeck dafür am Ende als "meinen Co-Moderator". Vergelt's Gott.

Kurz vor 23 Uhr flicht Petra Kleine noch elegant eine Bedingung für Koalitionsverhandlungen mit der CSU ein. Den Blick auf Wittmann gerichtet, lässt sie wissen: "Ich will, dass Sie nicht mehr Bürgermeister werden! " Beifall bei der Opposition im Saal. Sein Amt als hauptamtlicher Bürgermeister müsste er wegen der Altersgrenze nach der Wahl aufgeben; Wittmann wird heuer 68. Aber der Posten des dritten Bürgermeisters, ein ordentlich vergütetes Ehrenamt, wäre drin - siehe den 75-jährigen Sepp Mißlbeck.

Die Protagonisten bieten ein breites Spektrum politischer Erscheinungsformen: Hans Stachel pflegt sein Selbstverständnis als Freier Wähler: "Ich sehe mich nicht als Politiker, sondern als Bürgervertreter. " Jakob Schäuble (FDP)gibt den Gegenentwurf: "Ich liebe Politik! " Er kann den Uni-Dozenten, seinen Job, nicht ganz verhehlen ("Ich werde jetzt mal ein bisschen theoretisch"). Jürgen Köhler (UDI) setzt auf Freundlichkeit und entfaltet eine Angriffslust, als säße er immer noch im Kulturamt, das er bis zu seiner Pensionierung geleitet hat.

Raimund Köstler (ÖDP) hält seine Beiträge meist kompakt und meinungsfreudig. Karoline Schwärzli-Bühler, die auf Platz 6 der SPD-Liste kandidiert, übernimmt die anspruchsvolle Aufgabe, den OB-Kandidaten Christian Scharpf zu vertreten, der schwer erkältet ist und abgesagt hat. Die Sozialarbeiterin im Pius-Viertel punktet im ersten Teil, als es viel um vermüllte Spielplätze, gesundes Essen in Schulen und Kitas oder Bäume statt Beton geht. Der Abwesende bekommt von ihr eine Grußbotschaft: "Christian Scharpf ist ein offener, moderierender Mensch, der zuhören kann. "

Vermutlich hat der Kandidat es im Krankenbett gesehen: via Video-Livestream; so etwas gibt es im Stadtrat nicht.

DK


 

Christian Silvester