München
Mitreißender Schauspielabend

Anke Lenk inszeniert Samuel Becketts "Endspiel" im Residenztheater

20.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:12 Uhr
Endzeitstimmung: Oliver Nägele, Franz Pätzold, Ulrike Willenbacher und Manfred Zapatka (von links). −Foto: Aurin

München (DK) Was haben Philosophen und andere kluge Menschen im Verlaufe der letzten 61 Jahre aus diesem 1957 in London uraufgeführten Stück in Analysen nicht alles herausgelesen und in dieses Parade- und Kultstück des Existentialismus noch mehr hineininterpretiert.

Samuel Becketts "Endspiel" sei eine Parabel über die Unfähigkeit der Kommunikation der modernen Gesellschaft und eine beklemmende Tragödie über den Abgesang auf die Zivilisation, eine Betrachtung über das menschliche Sein am Ende des Daseins und ein unter dem Eindruck des Kalten Krieges der 1950er-Jahre geschriebenes Menetekel einer Atombombenkatastrophe. Damit ein Szenario über den unaufhaltsamen Untergang der Menschheit.

Von all diesen Interpretationen wenig beeindruckt, ging die junge Regisseurin Anne Lenk herrlich unkonventionell, gerade spielerisch mit dem Thema dieser Tragikomödie um. Reichlich Kunstschnee rieselt zu Beginn und am Ende dieser Neuinszenierung aus einem umgestülpten Backtrog auf die Bühne (von Judith Oswald) als Symbol der Vergänglichkeit der Zivilisation oder des Neubeginns nach dem Tauwetter?

Doch nicht in dunkle, düstere, klaustrophobisch abgeschlossene Horrorräume als Sinnbilder des Gefangen- und Geworfenseins der Protagonisten haben sich hier der blinde und gelähmte Hamm und sein Diener Clov verbarrikadiert, sondern Oliver Nägele als verschmitzt lächelnder Fiesling sitzt kommod im Rollstuhl in der Mitte eines weiten Raumes. Geradezu lustvoll schwadroniert er über seine eigenen Malaisen und diejenigen der Gegenwart und Vergangenheit, während Hamms hinkender Diener Clov (Franz Pätzold) hier keine Leiter besteigt, um durch eine Luke den Zustand der Außenwelt zu beobachten und diesen Horror seinem Herrn mitzuteilen.

Keine Leiter, keine Luke, nichts auf der außer dem Rollstuhl leeren Bühne mit einer imaginären Türe, stattdessen nur irrwitzige, aber köstlich absurde Pantomimen von Hamms Alter Ego Clov. Zwar schikaniert der Hausherr seinen Diener nach Leibeskräften, doch mit großer Generosität, bisweilen gar mit liebevoller Kumpelhaftigkeit ist er ihm zugetan. Ein gar nicht so sadistisches, sondern ein geradezu humanes Herr-Knecht-Verhältnis, das auf dem Bewusstsein beruht, die letzten Exemplare des Homo sapiens in einer bereits abgestorbenen Welt zu sein, der man nur mit Galgenhumor begegnen kann.

Doch zur köstlichen Farce gerät diese Inszenierung immer dann, wenn Hamms senile und verkrüppelte Eltern Nell und Nagg, die ansonsten als Abfallprodukte der Zivilisation aus Mülltonnen ihre Köpfe recken, hier wie Lemuren aus der Unterbühne emporgehievt werden. In üppige Kostüme in Kitschpink (von Sibylle Wallum) sind sie gewandet und tauchen als Running Gag wie abgehalfterte Adelige der Französischen Revolution immer wieder aus dem Totenreich auf: Nagg (Manfred Zapatka) als der mit Orden übersäte und in eine Halskrause gezwängte Ludwig XVI. und Nell (Ulrike Willenbacher) als die mit einer verschwenderisch gepuderten Haarpracht versehene Marie Antoinette mit eingefrorenem Dauerlächeln.

Prächtig doppelbödig ist diese Neuinszenierung im Münchner Residenztheater, eine gelungene Mischung aus beklemmenden Visionen über das Ende der Menschheit und eine Humoreske über all die Befindlichkeiten der davon Betroffenen. Eine Tragikomödie voll schönster Absurdität. Vor allem jedoch ist diese Aufführung ein mitreißender Schauspielabend dank des Edelmimen Oliver Nägele.

Weitere Vorstellungen am 23. und 29. November, am 1., 6. und 12. Dezember, Telefon (089) 21851940.