Pfaffenhofen
Mit Unmengen Erdbeerkuchen bestochen

Christa Maier, ehemalige Oberstufen-Sekretärin am Schyren-Gymnasium, über ungehobelte Schüler und träge Eltern

07.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:49 Uhr
Nicht nur in natura, sondern auch gemalt, gezeichnet und als Christbaum-Anhänger wurden der langjährigen Oberstufen-Sekretärin Christa Maier Erdbeeren geschenkt. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen - Christa Maier ist zum Schuljahresende in den Ruhestand gegangen und passenderweise geht die Erdbeer-Saison zu Ende. Wer jetzt fragt, was das eine mit dem anderen zu tun hat, der kennt weder die ehemalige Schulsekretärin noch die Verhältnisse am Schyren-Gymnasium. Und deshalb ist an dieser Stelle ein wenig Nachhilfe-Unterricht notwendig.

Christa Maier hat 39 Jahre am Gymnasium gearbeitet, die letzten zwölf Jahre im Sekretariat der Oberstufe. 1900 Schüler, rechnete ihr eine Lehrerin vor, habe sie seit 2008 "durchs Abi gebracht". Als "evolutionsstabil" bezeichnete sie in seiner Abschiedsrede der Oberstufen-Koordinator Thomas Zimmermann, der ein vierbändiges Werk über Christa Maier hätte schreiben können, "obwohl ich nur zwei Jahre unter Dir gedient habe", erklärte er vor dem versammelten Lehrerkollegium. "Aber es ist mir bei Dir immer gutgegangen."

Schulleiter Dietmar Boshof bescheinigte ihr, sie sei "zweifellos eine Institution am Schyren-Gymnasium geworden". Ihr erster Chef, Oberstudiendirektor Josef Irlinger, attestierte ihr schriftlich zum Abschied, wie sehr er ihre "freundliche, zugewandte Art und Hilfsbereitschaft" geschätzt habe. Und dessen damaliger Stellvertreter Hans Klein schrieb ihr mit einer gewissen Wehmut zwischen den Zeilen: "Wir könnten viele Geschichten erzählen."

Also bitte, Frau Maier, erzählen Sie. Die 64-Jährige sitzt daheim am Wohnzimmertisch und schaut auf ihre atrium-artige Terrasse mit großem Pool und bunten Schwimmtieren. Eben hat ihr vierjähriger Enkel sie angerufen: "Herzi-Oma, darf ich dich morgen besuchen?" Was für eine Frage! Natürlich! Das ist es, worauf sie sich schon lange gefreut hat: Endlich etwas mehr Zeit für den Enkel zu haben. Und: Nicht mehr mit dem Wecker um sechs aufstehen zu müssen. "Obwohl es keinen Tag gab, an dem ich nicht gern zur Schule gegangen bin." Auch, als sie an der Bandscheibe operiert worden war und einen Rollator brauchte. Selbst in der Corona-Zeit wollte sie die Oberstufe nicht hängen lassen - "obwohl ich zur Risiko-Gruppe gehöre".

Der Umgang mit den Heranwachsenden, das habe ihr immer Freude gemacht. Und umgekehrt? Boshof sagt es so: Sie habe mit den Oberstufen-Koordinatoren Generationen von Schülern zum Abitur gebracht - "zuweilen in Gestalt eines Zerberus, zumeist aber wie eine geduldige Mutter, die sich, wenn ,ihre Kinder' sie einmal wieder geärgert hatten, mit einem Erdbeerkuchen besänftigten ließ". Und mitunter gab's tatsächlich analog zur Menge des Ärgers viel Erdbeerkuchen; soviel, erinnert sich Maier, "dass ich irgendwann mal sagen musste, jetzt ist Schluss, sonst muss ich in den Sommerferien zehn Kilo abnehmen. Einmal habe ich an einem Tag sechs Erdbeerstücke bekommen."

Ein Abitur-Jahrgang überreichte ihr auf der Abschlussfeier sieben große Erdbeerkuchen. "Liebe Frau Maier", hatten ihr die Schüler geschrieben, "wir schätzen es sehr, dass Sie tagtäglich unsere billigen Ausreden ertragen mussten, uns bei jedem kleinen Zettelchen ewig hinterherlaufen mussten und unsere Sorgen und Wünsche stets berücksichtigen konnten."

Wohl wahr! "Da kommt eine Schülerin mit roten Augen zu mir. Und natürlich frage ich, was los ist. Liebeskummer, sagt das Mädchen. Dann versuche ich, sie zu trösten." Auch die Burschen leiden, weiß Maier, "aber die sind zu stolz, das zu zeigen". Allerdings können auch schlechte Noten manche Schüler nach unten ziehen. "Ich trau mich nicht nach Hause", habe sie manchmal von den Jugendlichen gehört. Dann greift Maier zum Telefon und macht erstmal gut Wetter bei den Eltern.

Jeden neuen Jahrgang, erklärt sie, habe sie mit immer denselben Worten begrüßt: "Ich könnt mich zum Freund haben, aber auch zum Feind. Lügt mich nicht an!" Sie haben's natürlich dennoch versucht, sind aber meist am Zerberus, der in der griechischen Mythologie den Eingang zu Hölle bewachte, kläglich gescheitert. Etwa der Schüler, der auf einem alten Attest das Datum fälschte, um an einer Klausur vorbeizukommen. Maier rief den Arzt an und deckte den Schwindel auf. Oder ein 18-Jähriger, der sich mit verstellter Stimme als Vater ausgab, der seinen Sohn entschuldigen wollte. Der echte Vater fiel aus allen Wolken, als er die Sekretärin am Telefon hatte. Da reicht dann auch kein Erdbeerkuchen mehr, um einen verschärften Verweis abzuwenden. Wobei dieser Stress völlig überflüssig war: Dieser Schüler wusste offenbar nicht, dass er sich ab 18 selbst entschuldigen kann.

Was Christa Maier in den vier Jahrzehnten aufgefallen ist: Immer mehr Eltern, sagt sie, überlassen die Erziehung ihrer Kinder der Schule. "Ob das daran liegt, dass beide berufstätig sind und daheim keinen Stress haben wollen - ich weiß es nicht." Bei der Erziehung müsse man am Ball bleiben, "aber manche Eltern meinen, irgendwann reicht es; oder sie haben resigniert." Was sie zunehmend gestört hat, ist der Lärmpegel. "So laut waren die Schülergenerationen damals nicht." Wenn der Lehrer das Klassenzimmer betreten hatte, herrschte früher Ruhe. Vorbei. Aber Kindern müssten Grenzen aufgezeigt werden. "Wenn ich euch wie Erwachsene behandeln soll", hat sie den Schülern gesagt, "dann verhaltet euch auch wie Erwachsene." Ihr war es wichtig, dass "ihre" Schüler mit dem Abitur nicht nur die Reife für die Hochschule erlangt haben, "sondern auch die Reife für die Gesellschaft". Mitunter musste sie nachhelfen. "Da geht plötzlich die Tür zu meinem Büro auf, und ein Junge steht da und sagt: Ich brauche eine Schulbescheinigung." Maier hat ihn rausgeschickt: "Das versuchst du jetzt noch einmal." Diesmal wurde angeklopft. "Ich brauche eine Schulbescheinigung." Schon wieder mangelhaft. Dritter Versuch: Klopfen, "Gute Morgen, Frau Maier" - da fehlt immer noch was. Tatsächlich sei der Schüler selbst auf das Wort "Bitte" gekommen.

Das war der Schulsekretärin schon wichtig: Respekt und Wertschätzung, und zwar beidseitig! "Das ist ein Geben und Nehmen", sagt sie. Jetzt ist sie es, die nimmt: "Da bin ich im Supermarkt, und immer wieder mal werde ich von Ehemaligen angesprochen: ,Hallo Frau Maier'." All die Jahre haben ihr sie Urlaubspostkarten bekommen.

Ihrem letzten Abiturjahrgang hat sie ihr persönliches Motto mit auf den Weg gegeben: "Wer etwas will, findet Wege; wer etwas nicht will, findet Gründe." Kein Zweifel: Christa Maier hasst faule Ausreden und Drückeberger. Der Oberstufen-Koordinator Zimmermann drückt es so aus: "Sie ist ein Mensch, der geradeaus sagt, was Sache ist."

ahh