Ingolstadt - Es war der 19. Mai 2018, als Daniel Abt den größten Triumph seiner Rennfahrerkarriere feierte. Ausgerechnet in seinem Heimrennen auf dem Flughafengelände des Berliner Tempelhofs eroberte der Audi-Pilot die Pole-Position in der Formel E, feierte einen souveränen Start-Ziel-Sieg und absolvierte zudem die schnellste Rennrunde. Mehr geht nicht im Rennsport.
Fast genau zwei Jahre später endete auf der – virtuellen – Rennstrecke des Flughafens Tempelhof wegen einer dummen Idee auf tragische Weise seine Partnerschaft mit Audi. Am Dienstag trennten sich die Ingolstädter mit sofortiger Wirkung von Abt nach dessen Betrug bei der E-Sports-Serie. Der 27-Jährige war das Rennen der „Race at Home Challenge“ am vergangenen Samstag nicht selbst gefahren, sondern hatte seinen Boliden von einem E-Sport-Profi pilotieren lassen.
„Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln haben für Audi oberste Priorität – dies gilt ausnahmslos für alle Aktivitäten, an denen die Marke beteiligt ist“, teilte der Autobauer mit. „Aus diesem Grund hat Audi Sport entschieden, Daniel Abt mit sofortiger Wirkung zu suspendieren.“ Damit wird der 27-Jährige auch nicht wieder in sein reales Formel-E-Cockpit zurückkehren. Da die Saison seit dem fünften Lauf in Marrakesch Ende Februar wegen der Corona-Krise pausiert, hatte die Serie für die Zeit der Unterbrechung die virtuellen Rennen ins Leben gerufen – die sogenannte „Race at Home Challenge“. Am vergangenen Samstag rasten die Teilnehmer der E-Sports-Serie über die Strecke in Berlin. Auch Abt nahm teil, doch der 27-Jährige saß dabei nicht selbst an der Konsole, sondern hatte das Steuer heimlich dem E-Sport-Profi Lorenz Hörzing überlassen – und der machte seinen Job (zu) gut.
Der Österreicher lenkte das Auto im Auftrag des Allgäuers, der in den Läufen zuvor immer die Punkteränge verpasst hatte, auf den zweiten Startplatz und im Rennen auf Rang drei. Abt selbst hatte bei einem Interview seine Videokamera ausgeschaltet, später war das Gesicht des Piloten von einem Gegenstand verdeckt. So machten auch Fahrerkollegen schnell eine Schummelei aus. Die Technikexperten der Formel E deckten den Schwindel schließlich über die IP-Adresse auf. Abt wurde nachträglich disqualifiziert und verlor alle Meisterschaftspunkte der Challenge. Zudem musste er 10 000 Euro an eine gemeinnützige Organisation spenden. Einen Tag später sah er seinen Fehler ein und entschuldigte sich. „Ich habe es nicht so ernst genommen, wie ich es hätte tun sollen“, erklärte der 27-Jährige. „Ich bin mir bewusst, dass der Vorfall einen bitteren Nachgeschmack hat“, aber er habe nie eine schlechte Absicht gehabt.
Richtig bitter für den Kemptener wurde es dann jedoch am Dienstagmittag, denn den Rauswurf konnte der Rennprofi mit seiner Erklärung nicht mehr verhindern. Dabei ist Abt nicht nur seit der ersten Saison der elektrischen Rennserie im Jahr 2014 für Audi Sport beziehungsweise das Vorgängerteam Abt Schaeffler Audi Sport im Einsatz, sondern auch der Sohn des Rennstall-Mitbesitzers Hans-Jürgen Abt. Als einer von nur vier Piloten hat der Junior alle bisherigen 63 Rennen der Serie bestritten, holte dabei zwei Siege, zwei Pole-Positions und zehn schnellste Runden. Mit seinem Teamkollegen Lucas di Grassi, mit dem er 2017/18 die Teammeisterschaft holte, konnte Abt aber nur selten mithalten. In den bisherigen fünf Rennen dieser Saison war er nur einmal in die Punkte gefahren. Sein letztes Podium hatte er vor mehr als einem Jahr erobert. Nach Informationen unserer Zeitung wollte Abt, dessen Vertrag bei Audi ausläuft, nach dieser Saison seine Motorsportkarriere ohnehin beenden.
Nun kam ihm Audi zuvor. Eine Entscheidung, wer das zweite Cockpit neben dem früheren Formel-E-Weltmeister Di Grassi erhält, sei noch nicht gefallen, teilte Audi mit. Durch den Rückzug der Ingolstädter aus der DTM zum Ende des Jahres werden jedoch einige Werksfahrer Ende 2020 ohne Job dastehen – allen voran der zweifache DTM-Champion René Rast. Auch wenn Abt mit seiner Aktion dem Image der virtuellen Serie einen Bärendienst erwiesen hat, gehen die Meinungen über die harten Konsequenzen von Audi gegen den langjährigen Piloten auseinander. „Das ist ein Spiel, das natürlich ernst genommen werden sollte, dennoch ist es immer noch ein Spiel“, twitterte der zweifache Formel-E-Meister Jean-Éric Vergne vom Team DS Techeetah. „Was machen wir dann mit all den Fahrern, die absichtlich einen Unfall bauen – sollten die dann in der Realität auch ihre Führerscheine abgeben müssen?“
Abt selbst meldete sich am Dienstagabend per Videobotschaft zu Wort und beteuerte, dass es ihm bei der Teilnahme nie um Ergebnisse, sondern nur „um eine gute Show“ gegangen sei.„Ich kann es verstehen, dass wir mit dieser Idee zu weit gegangen sind“, sagte Abt. Er habe einen riesengroßen Fehler gemacht. Der Rauswurf sei „ein Schmerz, den ich in dieser Form noch nie in meinem Leben erfahren habe. Ich fühle mich gerade so, wie wenn ich tiefer nicht fallen kann.“ Doch die Reue kam zu spät. DK
Julia Pickl