Mit ruhiger Hand und genauem Augenmaß

06.04.2007 | Stand 03.12.2020, 6:52 Uhr

Beilngries (DK) Wenn Stefanie Drost mit einem gekochten Ei und einem scharfen Messer am Küchentisch sitzt, hat sie keineswegs Hunger. Vielmehr kreiert die 85-Jährige kleine Kunstwerke, indem sie fantasievolle Muster in die Eier einkratzt.

"Seit über 60 Jahren gestalte ich vor Ostern so meine Eier. In meiner Heimat Oberschlesien war das einfach Brauch. In meiner Familie begannen wir schon viele Wochen vor Ostern damit, in die Eier unserer Hühner, Enten und Gänse Muster zu kratzen", erzählt Stefanie Drost, die mittlerweile seit zwei Jahren im Wohnpark Utzmühle lebt.

"Zur Tradition gehörte auch, dass am zweiten Osterfeiertag die jungen Kerle die Mädels mit Wasser bespritzten. Mit den gekratzten Eiern konnten wir Mädchen uns sozusagen freikaufen, das war eine Gaudi", erzählt Drost lachend. "Die Jungs haben unsere reich verzierten Eier dann gleich gegessen, die hatten einfach nur Hunger und wenig Sinn für unsere kleinen Kunstwerke."

Auch heute behält die rüstige 85-Jährige nur wenige ihrer Ostereier selbst. D en Großteil verschenkt sie gleich wieder. "Ich denke, die meisten hat meine Tochter Monika bei sich zu Hause."

Die Beschenkten können sich freuen, denn das Eierkratzen ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. "Man braucht eine unheimlich ruhige Hand und ein sehr gutes Augenmaß, so dass das Muster, das rund um das Ei eingekratzt wird, auch aufgeht", erklärt Drost. Vor dem Kratzen müsse das Ei etwa zehn Minuten lang gekocht und danach eingefärbt werden. Früher hat Drost dazu Stofffarbe benutzt. Heute verwendet sie die üblichen Eierfärbemittel, sogar Nagellack hat sie schon ausprobiert.

Eigene Ideen sind wichtig

Gekratzt wurde früher mit einem scharfen Rasiermesser. Da es die heute kaum noch zu kaufen gibt, benutzt Drost meist Tapetenmesser. "Das geht auch", sagt sie. Die Motive denkt sie sich selbst aus: "Ich habe nie nach Vorlage gearbeitet. Die Muster entspringen meiner Fantasie. Bei mir sieht jedes Ei anders aus, denn jedes Ei nimmt die Farbe anders auf und kratzt sich anders."

Ausgeblasene Eier könne man nicht einkratzen, sie würden sofort zerbrechen. Erstaunlicherweise werden die gekochten Eier aber auch weder schlecht noch übel riechend. Die Eierexpertin erklärt: "Das Innere des Eis verhärtet sich über die Jahre. Wenn man das Ei nach sechs Jahren leicht schüttelt, klingt es, als wäre ein kleiner Stein darin verborgen. Nach etwa zehn Jahren haben sich Eigelb und Eiweiß dann völlig aufgelöst. Zurück bleibt ein leeres Ei."

Allerdings können auch gekochte Eier beim Einkratzen zu Bruch gehen – eine Erfahrung, welche die Expertin für Ostereier im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gemacht hat: "Heuer habe ich schon fünf Eier beim Kratzen eingedrückt. Wenn das kurz vor der Vollendung passiert, ist das natürlich besonders ärgerlich."

Stefanie Drost geht allerdings mit der Zeit und verwendet heute sogar manchmal Plastikeier. "Die kann ich zwar nur bemalen und nicht einkratzen, aber wenn sie meinen Enkelkindern herunterfallen, gehen sie nicht gleich kaputt." Drost freut sich auf das Osterfest, sehr, nicht aber auf das Osterfrühstück, denn, wie sie schmunzelnd zugibt: "Ganz ehrlich, eigentlich esse ich Eier gar nicht so gerne."