Hilpoltstein/Heideck/Greding - Die Stimmung in den Lehrerzimmern von Grund- und Mittelschulen ist gereizt bis wütend, seit nach den Weihnachtsferien das Schreiben des bayerischen Kultusministeriums auf dem Tisch liegt.
Per Dienstanweisung hat Minister Michael Piazolo (Freie Wähler) angeordnet, dass Grundschullehrer ab September fünf Jahre lang eine Stunde mehr Unterricht halten müssen, Teilzeit auch an der Mittelschule auf minimal 24 Stunden erhöht wird und Anträge auf vorzeitigen Ruhestand vor Vollendung des 65. Lebensjahrs künftig abzulehnen sind.
"Mit der Grundschule kann man es machen", sagt Martina Wirsing, Schulleiterin in Heideck. "Es gibt keine Wertschätzung für die Grundschule und keine Lobby. " Verärgert ist sie auch über den schlechten Stil. Bis Ende 2019 sei in Bayern noch alles bestens gewesen und eine Woche später fehlten plötzlich 1400 Lehrkräfte. Und das erfahre man zuerst aus der Zeitung. "Das stört mich sehr", sagt Wirsing. Betroffen seien an ihrer Schule vor allem Kollegen, die geplant haben, vorzeitig in Ruhestand zu gehen. Diese Pläne könnten jetzt zunichte gemacht werden. "Da muss man sensibler mit Menschen umgehen", findet Wirsing.
"Der Aufschrei ist groß", sagt Peter Benz, Leiter der Grundschule Hilpoltstein. Er selbst ist von der neuen Vorruhestandsregelung betroffen. Im April wird er 62 und würde in einem Jahr gerne in die Freistellungsphase und mit 64 in den Ruhestand wechseln, um sich dann mehr um Familie und Enkel kümmern zu können. Die zuständige Regierung von Mittelfranken hat kurz vor Weihnachten seinen Freistellungsantrag zum 31. Juli 2021 zwar bewilligt, behält sich aber ein Widerspruchsrecht vor. Die Dienstanweisung Piazolos könnte die Pläne durchkreuzen. "Es ist eine Hängepartie", sagt Benz. Auch seine Frau Inge, Lehrerin in Meckenhausen, ist betroffen. Sie muss mindestens 24 Wochenstunden geben, wenn sie, wie geplant, künftig Teilzeit arbeiten will. Denn nur Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder unter 18 Jahren haben, dürfen unter dieser Grenze bleiben.
Was den Hilpoltsteiner Schulleiter ärgert, ist, dass man im Ministerium jetzt so tue, als ob es noch Reserven gäbe, "dabei sind alle auf Anschlag. Es ist Ende der Fahnenstange". Die Konsequenz der Dienstanweisung werde eine exorbitant steigende Krankheitsquote sein. Der aktuelle Lehrerengpass sei aber kein Versäumnis von einem halben Jahr, sondern Ergebnis jahrelanger Fehlplanung und falscher Schulpolitik. Noch immer würden Grundschullehrer schlechter bezahlt als ihre Kollegen an der Realschule oder am Gymnasium, die weniger Wochenstunden geben müssen. "Wir müssten längst über Gleichbezahlung reden", sagt Benz.
"Die Belastung ist jetzt schon sehr hoch", bestätigt Gerhard schuster, Leiter der Grund- und Mittelschule Greding. Jeder, der das nicht glaube, "sollte sich mal 14 Tage vor eine Klasse stellen", rät er. Die neue Dienstanweisung sei an seiner Schule aber nicht das ganz große Thema: "Vier bis fünf Lehrkräfte in der Grundschule werden ein Arbeitszeitkonto haben. " Denn die Mehrarbeit von einer Wochenstunde wird fünf Jahre lang gut geschrieben und soll danach wieder abgebaut werden. Überraschend kommt die Anweisung des Ministeriums für Schuster nicht. Als Schulleiter habe man den Mangel schon lange gespürt. "Die Zuweisungen waren in den letzten Jahren auf Kante genäht. " Dabei habe es vor fünf Jahren noch jede Menge Bewerber für die Grundschule gegeben, man habe aber nur die mit den besten Noten genommen.
Ein weiteres Problem sieht Gerhard Schuster vor allem auf die Mittelschulen zukommen. Dort arbeiten derzeit viele so genannte Zweitqualifizierer, also Lehrer, die eigentlich Lehramt für Gymnasium studiert haben und wegen mangelnder Berufsaussichten an die Mittelschule gewechselt haben. Doch durch die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums werde der Lehrerbedarf dort sprunghaft ansteigen, prophezeit Schuster. "Dann sind die ganz schnell wieder weg. Was soll so einer an der Mittelschule mit Besoldungsstufe A12, wenn er im Gymnasium mit A13 anfängt? " Und dazu noch bessere Aufstiegsmöglichkeiten hat. "Es ist nicht schön, aber wir müssen damit klarkommen", sagt Schuster.
Vorschläge, wie man die Situation verbessern könnte, hat man beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) schon lange. "Wir haben jahrelang darauf hingewiesen, dass der Lehrermangel kommen wird und jetzt packt man Kollegen, die eh schon belastet sind, noch mehr drauf", kritisiert Thomas Mehwald, BLLV-Kreisvorsitzender. Sein Verband fordert ein einheitliches Grundstudium für alle Lehramtsanwärter und dann ein Aufbaustudium für den jeweiligen Schulzweig. "So könnte man schneller reagieren", sagt Mehwald.
Auch die Besoldung für Kräfte an der Grund- und Mittelschule sollte auf A13 angehoben werden, um den Beruf attraktiver zu machen. "Andere Bundesländer machen das schon längst", sagt Mehwald. Ständig neue Fakten zu schaffen sei dagegen kontraproduktiv. Älteren Lehrkräften eine frühere Pensionierung zu verweigern, sei zynisch. Frühere Studien hätten gezeigt, dass nur ein Drittel aller Mittelschullehrer bis zur regulären Pensionierung durchgehalten haben, bevor es die Möglichkeit der früheren Pensionierung gab, sagt Mehwald. "Jetzt ist zu befürchten, dass sich die damaligen Zustände wieder einstellen", sagt Mehwald.
Tandems aus Lehrern, Sozialpädagogen oder Sonderschulpädagogen würden die Qualität erheblich steigern und die Belastung für den Einzelnen deutlich reduzieren. "In Finnland gibt es das schon", sagt Mehwald und weist auf die Erfolge des Landes bei Pisa-Studien hin. In Bayern "ist versäumt worden, etwas zu tun. "
Kultusminister Piazolo bietet in seiner Dienstanweisung immerhin "weitere Stellenanhebungen von A12 in Richtung A13" an und versichert, dass alle Maßnahmen "vorübergehenden Charakter" hätten. "In den nächsten Jahren gilt es jedoch erst einmal, die Bedarfsentwicklung genau im Auge im Auge zu behalten; das Staatsministerium wird die Schulen hierzu auf dem Laufenden halten", schreibt Piazolo.
Bei Martina Wirsing lösen solche Planungen nur Kopfschütteln aus: "Wozu machen wir eigentlich diese ganzen Statistiken? "
HK
Robert Kofer
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