Mit dem Würfel komponieren

20.11.2006 | Stand 03.12.2020, 7:19 Uhr

Ingolstadt (DK) Immer wieder muss Dieter Trüstedt (67) darüber schmunzeln. Ausgerechnet er präsentiert in einem Konzert Mozart-Werke. Dabei hat er ein "sehr gespaltenes Verhältnis zur klassischen Musik". "Die ist mir zu bürgerlich. Das Verhalten der Bürger geht einem auf den Keks", sagt er und erzählt dann von seinen wirklichen Vorlieben: die Musik vor Bach und die zeitgenössische Avantgarde, Komponisten wie Karlheinz Stockhausen und Helmut Lachenmann.

Diesmal aber steht zum ersten Mal für ihn Klassisches auf dem Programm. Im Rahmen der Mozart-Nacht am 25. November im Theater Ingolstadt wird er Würfelkompositionen nach einem Rezept des Salzburger Genies vorstellen. Die Idee findet er "wirklich lustig". Denn mit Hilfe von zwei Würfeln und einer kleinen Liste hat Mozart gezeigt, dass eigentlich jeder in der Lage ist, kleine Stücke zu "komponieren": Man wirft zwei Würfel und zählt die Augen. Dann wählt man aus der Abteilung "erste Takte" den zugehörigen Takt aus, dort stehen elf Takte mit den Nummern zwei bis zwölf zur Auswahl. Genauso verfährt man mit Takt zwei, Takt drei und so weiter, bis 16 Takte zusammen sind. Die ausgewürfelten Takte werden dann hintereinander gelegt, und schon ist ein Kontretanz oder ein Walzer fertig. Da es für jeden Takt elf Auswahlmöglichkeiten gibt, stehen insgesamt 176 Takte zur Verfügung, und weit über eine Milliarde unterschiedliche Werke können so komponiert werden. Die Stücke klingen dabei nicht einmal schlecht und können es durchaus mit manchen Kompositionen von Mozart-Zeitgenossen aufnehmen.

Für den promovierten Physiker Trüstedt, der sich bereits seit 30 Jahren mit elektronischer Musik beschäftigt, sind die so zufällig entstandenen Vorläufer heutiger Computermusik allesamt Ohrwürmer, "man träumt die ganze Nacht davon".

Diese Art der psychoakustischen Belästigung will Trüstedt in Ingolstadt allerdings dem Publikum nicht zumuten. Sicher, er wird sich streng an Mozarts Regeln halten – und doch auch eine ganz eigene Farbe in seine Präsentation hineinbringen. Denn der Münchner Avantgarde-Komponist wird die am Abend entstandenen Werke verfremdet darstellen: extrem verlangsamt wiedergegeben oder aber mit computergenerierten Klangfarben versehen.

Um einen Bezug zu Ingolstadt herzustellen, hat Trüstedt sich in der Stadt umgeschaut und mit einem Aufnahmegerät Klänge gesammelt: bei Audi – die Montage geht allerdings inzwischen nahezu lautlos vor sich – oder im Café und auf den Straßen. Den interessantesten Klang fand er bei den Opferstöcken in der St.-Moritz-Kirche. Den Sound herabfallender Münzen wird er stark verlangsamt abspielen, dann klingt er wie das entfernte Bellen von Hunden. Und die mozartische Zufallsmusik wirkt auf einmal ganz ungewohnt, fast wie eine zeitgenössische Komposition. Vielleicht sogar ein bisschen wie ein Originalwerk von Trüstedt. Möglicherweise hat der Klassiker Mozart ja doch einiges gemeinsam mit dem sich so unbürgerlich gebenden Avantgardisten.

Dieter Trüstedt wird im Rahmen der Mozart- N acht am Samstag, 25. November, um 17 Uhr auftreten. Karten und das Programm gibt es in der DK-Geschäftsstelle, im Kulturamt und an der Theaterkasse.