Ingolstadt
Mit dem Papa zur Arbeit

17.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:27 Uhr

Im Akustikraum werden Geräusche von Autos geprüft: EDAG-Mitarbeiter Helmut Kammerer zeigt seinen Kindern Markus und Alexandra, wie Kollege Thomas Lautner (rechts) die Tests durchführt. Weil am Buß- und Bettag schulfrei ist und es oft Probleme mit der Betreuung gibt, durften die Beschäftigten ihren Nachwuchs mit zur Arbeit nehmen. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Die Firma EDAG machte gestern aus der Not eine Tugend: Weil am Buß- und Bettag schulfrei ist, durften die Beschäftigten ihre Kinder mit zur Arbeit bringen. Die Lehrer mussten arbeiten, wahlweise daheim. Und die evangelischen Christen besannen sich der Bedeutung des Feiertags.

Beim Automobildienstleister EDAG an der Robert-Bosch-Straße bietet sich schon am Empfang ein ungewohntes Bild: Die fünfjährige Sophia malt ein Bild, während ihr Vater Sascha Mikschik, Geschäftsführer der Sicherheitsfirma SPM, die Besucher mit den strengen Sicherheitsbestimmungen im Hause vertraut macht. "Papa sitzt den ganzen Tag rum, telefoniert und passt auf, dass kein Dieb kommt", erklärt die Kleine.

In der Kantine sitzen um die Mittagszeit überall Kinder mit ihren Eltern an den Tischen. Alexandra und ihr Bruder Markus haben gerade Nudeln und Kartoffeln verdrückt, jetzt will ihr Vater ihnen zeigen, was er so den ganzen Tag in der Firma tut. Der achtjährige Sohnemann kann es nur vage abschätzen: "Scheibenwischer testen in Irland und im Büro arbeiten." Das stimmt und nennt sich im Fachjargon Komponentenerprobung. 16 Jahre arbeitet Helmut Kammerer schon bei EDAG und führt Versuche an Außenbauteilen von Autos durch. "Ich find’s prima, dass wir heute unsere Kinder mitnehmen dürfen." Derweil kauft die Mama in der Stadt Adventskalender ein.

Nach Auskunft von Anton Mang, Leiter des staatlichen Schulamts, werden Eltern rechtzeitig vor dem Buß- und Bettag informiert, dass kein Unterricht stattfindet und gefragt, ob sie dennoch eine Kinderbetreuung benötigen. "Das muss die Schule dann leisten. Es kommen aber nur sehr vereinzelt Anfragen, denn die Begeisterung der Kinder hält sich natürlich in Grenzen."

Rufbereitschaft hat Claus Schredl, stellvertretender Direktor vom Christoph-Scheiner-Gymnasium. Er will nichts wissen von der ganzen "Neiddebatte", die sich am Buß- und Bettag wieder über den Berufsstand ergießt. "Unsere Lehrer leisten was – vor allem im G8. Die Deutschlehrer müssen gerade die großen Klausuren der Oberstufe korrigieren, das dauert locker 30 Stunden. Natürlich gibt es auch welche, die sich erholen, aber das ist auch in Ordnung."

Bereits um sieben Uhr hat Rektor Michael Schels die Herschelschule aufgesperrt. Es könnte ja sein, dass irrtümlich doch ein Schüler kommt. "Den würde ich notfalls betreuen. Ansonsten ist dieser Tag ein Glücksfall, denn ich kann endlich in Ruhe arbeiten." Die türkischen Kinder hatten übrigens zwei Tage schulfrei, wegen des islamischen Opferfestes Kurban Bayram, das heuer zufällig mit dem Buß- und Bettag zusammentrifft.

Und was machen die Lehrer? Schels lacht. "Die evangelischen sind hoffentlich in der Kirche und die katholischen sind froh, dass sie nicht evangelisch sind." Aber im Ernst: Einige Kollegen seien in Fürstenfeldbruck zur Fortbildung: Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband hat zum Thema "Schule im 21. Jahrhundert: Aufbruch in eine neue Lernkultur" eingeladen. Mit Klaviertheater und Zirkusschule.

In nahezu allen evangelischen Kirchen Ingolstadts werden Gottesdienste mit Abendmahl gefeiert, häufig auch mit Beichte. Friedrich Kraft predigt in St. Paulus und erinnert daran, ursprünglich seien Bettage von der Obrigkeit verordnet worden. Der erste evangelische Buß- und Bettag fand 1532 als Reaktion auf die Türkenkriege statt. Drei Ziele verfolge der Buß- und Bettag heute, so Kraft: Das Eintreten der Kirche für die Schuld des Volkes, das Wächteramt der Kirche, das den Christen obliege sowie die Gewissensprüfung des Einzelnen vor Gott. Der Theologe und Publizist erinnert an die christliche Verpflichtung, sich auch für den Erhalt der Demokratie einzusetzen.

Im Jahr 1995 wurde der Buß- und Bettag als arbeitsfreier Tag gestrichen, um die Mehrbelastung für die Arbeitgeber durch die Beiträge zur neu eingeführten Pflegeversicherung durch Mehrarbeit der Arbeitnehmer auszugleichen. Für Kraft steht bis heute fest: "Das war ein schrecklicher Kuhhandel."