Ingolstadt
"Mit dem Islam hat das gar nichts zu tun"

Warum lernen viele muslimische Kinder nicht schwimmen? Eine Elternbeiratsvorsitzende nennt Gründe

10.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:04 Uhr

Von früh bis spät Betrieb im Becken: Das Bad der Christoph-Kolumbus-Grundschule "ist immer voll", sagt Rektor Rudolf Zehentbauer, hier als Schwimmlehrer in Aktion. Trotzdem könne man im Unterricht den "großen Bedarf" nicht abdecken. Von 16 bis 21.30 Uhr ziehen externe Schwimmer ihre Bahnen. Vor allem wegen der hohen Auslastung will die Schule ihr Bad unbedingt behalten. "Wenn wir es nicht hätten, wäre die Nichtschwimmerquote in unserem Stadtteil sicher deutlich höher", sagt der Rektor. - Fotos: Hammer

Ingolstadt (DK) In den Grundschulen im Ingolstädter Norden können bis zu 40 Prozent der Kinder nicht schwimmen. Gegenüber einer Schwimmerquote von fast 100 Prozent im Süden. Rudolf Zehentbauer, Rektor der Kolumbus-Grundschule, und die Elternbeiratsvorsitzende Nadia Al-Aqrabawi wissen warum.

Die Zahlen haben einige Beachtung gefunden: Im Ingolstädter Süden können fast 100 Prozent der Kinder am Ende der vierten Klasse schwimmen, im Norden sind es dagegen nur 70 oder gar 60 Prozent, das hat, wie berichtet, das Schulverwaltungsamt ermittelt. Das bedeutet: Ungefähr jedes dritte Kind kann dort nicht schwimmen.

Vor Kurzem hat sich der Migrationsrat der Stadt mit der Statistik befasst und die Werte vor allem damit erklärt, dass die Grundschulen mit den höchsten Nichtschwimmerquoten - Lessingstraße, Pestalozzistraße und Kolumbus-Grundschule an der Ungernederstraße - in Vierteln mit einem hohen Anteil von Muslimen liegen. Deren Glaube verbiete es, dass Buben und Mädchen gemeinsam schwimmen, so wurde es im Migrationsrat erklärt. Deshalb hielten viele Eltern ihre Töchter vom Schwimmunterricht fern.

Doch hat die hohe Zahl von Nichtschwimmern wirklich religiöse Gründe? "Mit dem Islam hat das gar nichts zu tun!", sagt Nadia Al-Aqrabawi, die Elternbeiratsvorsitzende der Christoph-Kolumbus-Grundschule. Wer Kinder mit Hinweis auf den Glauben nicht schwimmen lernen lasse, lege den Islam falsch aus, betont sie. Die junge Frau ist in Deutschland aufgewachsen, ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater stammt aus Palästina. Nadia Al-Aqrabawi trägt Kopftuch, lebt ihren Glauben voller Freude - und kennt ihn gut. Sie erklärt: "Es ist gar kein Problem, wenn Mädchen mit Buben schwimmen, bevor sie ihre Periode bekommen. Sie dürfen sich nur nicht vor Buben entblößen, aber das ist bei deutschen Kindern nicht anders." Ab der fünften Klasse, wenn langsam die Pubertät einsetzt, werden die Schüler in Bayern (mit wenigen Ausnahmen) ohnehin nach Geschlechtern getrennt im Sport unterrichtet.

Warum in Vierteln mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil auffällig viele Kinder nicht schwimmen können, habe andere Gründe, sagt Nadia Al-Aqrabawi. "Viele Mütter können selber nicht schwimmen, also gehen sie mit ihren Kindern nicht zum Üben, selbst wenn die einen Schwimmkurs gemacht haben. Und die Väter sind meistens in der Arbeit." Eine vollständig bekleidete Frau in einem Bad mit Männern (so fordert es der Islam) werde natürlich "doof angeschaut", auch das halte viele davon ab, sagt Nadia Al-Aqrabawi. Außerdem gebe es in Ingolstadt "leider viel zu wenige Gelegenheiten für muslimische Frauen, in einem öffentlichen Hallenbad mal unter sich zu sein", aber genau das wäre wichtig. Sie selbst kann schwimmen. "Und meine drei Kinder können es auch."

Sie spricht ein weiteres Defizit offen an: "Viele Mütter lernen kein Deutsch und bleiben immer in ihrer Gruppe." Dass sie mit ihren Kindern nicht zum Schwimmen gehen, sei eine Folge davon, sagt Al-Aqrabawi - und leider nicht das einzige Problem, das aus der mangelnden Integration erwachse.

Es ist nicht die Aufgabe der Grundschule, den Kindern das Schwimmen beizubringen. Hier wird vielmehr das schon Gelernte im Unterricht trainiert. "Kinder sollten im Kindergartenalter schwimmen lernen, am besten, sie fangen schon mit drei, spätestens mit fünf Jahren an", sagt Heike Wärmann, Lehrerin an der Kolumbus-Grundschule. "Es reicht nicht, dass sie einen Schwimmkurs absolvieren, die Eltern müssen auch dafür sorgen, dass die Kinder regelmäßig üben, und dazu müssen die Eltern mitgehen." Es sei wichtig, dass Kinder die Angst vor dem Wasser verlieren "bevor sie in die Schule kommen", sagt Wärmann; darauf baue man im Sportunterricht auf. "Bei uns Deutschen ist das einfach drin: Man geht zum Baden." Aber in Migrantenfamilien sei das oft anders.

Rudolf Zehentbauer, der Leiter der Christoph-Kolumbus-Grundschule, nennt ein weiteres Problem: "Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der Eltern, dass ihre Kinder schon vor der Schule einige grundlegende Techniken beherrschen, dazu gehören das Radfahren und das Schwimmen." Leider fehle manchen Eltern dafür das Bewusstsein, die Kinder gezielt auf Fertigkeiten vorzubereiten, die im Leben wichtig sind und die zu vermitteln nicht (allein) die Aufgabe der Schule ist. "Und dann tauchen Defizite auf." Es dauere zum Beispiel lang, Kindern die Angst vor dem Wasser zu nehmen und ihnen vom erstem Planschen an geduldig die für das Schwimmen wichtigen Bewegungen beizubringen. Die Eltern sollten also sehr früh damit beginnen, so Zehentbauer.

Sicher müsse man auch von mangelndem Willen zur Integration in einigen Migrantenfamilien sprechen, sagt der Rektor. Er ermutigt diese Eltern, ihre religiös-kulturellen Vorbehalte vertrauensvoll zu überwinden. "Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln: Wie tickt die deutsche Gesellschaft? Was ist hier wichtig? Und dann muss man den Sprung schaffen, muss sich weiterentwickeln, auch wenn man eine andere Kulturhistorie hat." Natürlich sei es nicht möglich, sich "zu 100 Prozent der deutschen Gesellschaft zu öffnen", das erwarte auch keiner, sagt Zehentbauer. "Aber sich unserer Lebenssituation anzupassen, bedeutet nicht, seinen Glauben und seine Herkunft zu verleugnen! Die Vorbereitung der Kinder auf wichtige Fähigkeiten wie das Schwimmen und der Islam schließen sich ja nicht aus."