Mit dem "alten Fritz" kam alles ins Rollen

14.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:37 Uhr
Ralf Schmitt
Der Allwetterjäger F-86K Sabre diente in den Anfangsjahren des Neuburger Geschwaders als wichtiges Flugzeug. Mit ihm erfolgte die Eingliederung des Verbands in die Nato und damit die Übernahme der Alarmrotte - eine Aufgabe, die noch heute Hauptbestandteil des Auftrags ist. −Foto: DK-Archiv/Taktisches Luftwaffengeschwader 74

Von der Unterbringung in der Notunterkunft zum multifunktionalen Militärstandort: Die Geschichte des Neuburger Luftwaffengeschwaders beinhaltet auch einige von Improvisation geprägte Anfangsjahre. Diese sind vor allem mit dem Namen des ersten Kommodore verbunden: Fritz Wegner. Ein Blick zurück auf die Historie des Verbands.

 

Neuburg - 60 Jahre Bundeswehr und Luftwaffe in Neuburg, sechs Jahrzehnte, die das Leben vieler Menschen geprägt haben. Manche leisteten beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 ihre Wehrpflicht ab. Andere verpflichteten sich über viele Jahre. Nicht wenige davon lernten die Stadt an der Donau und ihre Umgebung durch die Bundeswehr kennen und lieben und machten sie zu ihrer neuen Heimat.

Anlässlich des Jubiläums des Verbands in diesem Jahr drehen wir die Zeit zurück und blicken auf die Anfangsjahre des Geschwaders. 1958 unter dem Namen Waffenschule 10 in Oldenburg im hohen Norden geboren, erfolgte kurze Zeit später der Umzug nach Leipheim. Nach nur wenigen Monaten dort kam der als Jagdgeschwader 75 betitelte Luftwaffenverband an seinen heutigen Standort nach Neuburg. Der Name Jagdgeschwader blieb, die Zahl änderte sich zu 74. Der offizielle Titel wechselte in sechs Jahrzehnten aber noch mehrmals, einzig die 74 ist bis heute erhalten geblieben.

 

Der erste Kommodore des Geschwaders - er hatte diesen Posten bereits in Leipheim inne - war Major Fritz Wegner, der es später bis zum Generalleutnant und zum kommandierenden General des deutschen Luftflottenkommandos brachte. Unter Wegners Führung wurde der Neuburger Verband am 5. Mai 1961 bei einem großen Appell in Dienst gestellt. Der Kommodore erhielt dabei beim abschließenden Essen der geladenen Gäste die Beförderung zum Oberstleutnant.

Bereits im Oktober des gleichen Jahres war mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Josef Kammhuber, hoher Besuch zu Gast in Neuburg. Der erste große Meilenstein in der Geschichte fand im Oktober 1962 statt. Mit der Zuteilung des Geschwaders unter Nato-Kommando stellte es erstmals eine Alarmrotte zur Überwachung des süddeutschen Luftraums. Das Jagdgeschwader 74 war zu diesem Zeitpunkt der einzige Verband, der mit einem allwetterfähigen Kampfflugzeug, der F-86K, ausgestattet war. So konnte diese Aufgabe auch bei Nacht und unter eingeschränkten Sichtverhältnissen erfüllt werden. Damit war ein wichtiger Schritt für die auch heute noch gültige Kernaufgabe des Geschwaders getan.

 

In die Anfangszeit fiel der Bau vieler, teilweise noch heute genutzter Gebäude. Bei der Unterbringung der Soldaten musste stark improvisiert werden. Während einige Staffeln zunächst in der Kaserne in Oberstimm beheimatet waren, wo damals das Aufklärungsgeschwader 51 stationiert war, musste auch Personal die Nacht in einem Zeltlager unter den Schleppdächern auf der Basis in Zell verbringen. Dort wurde die Truppenverpflegung in Feldküchen zubereitet. Erst nach und nach wurde es etwas gemütlicher für die Soldaten. Auf dem Flugplatz bei Zell und in der Kaserne in Grünau entstanden Schnellbauhäuser, die ohne lange Trockenphase in kurzer Zeit bezugsfertig waren. Diese Gebäude erwiesen sich als stabiler als ursprünglich gedacht. Erst 2009 wurden die letzten von ihnen abgerissen.

Nicht nur infrastrukturell entwickelte sich das Geschwader weiter. Viele organisatorische Änderungen standen an. So wurde in der Hierarchie die Gruppen-Ebene eingeführt. Dem Geschwaderstab wurden die Fliegende, die Technische und die Fliegerhorstgruppe unterstellt. Die Ausbildung von Führungspersonal, gerade in der Aufbauphase der Bundeswehr, wurde ebenfalls forciert - darunter ab 1961 auch die von Unteroffiziersanwärtern. In dieser eigenen Nachwuchsschmiede erzielte das Geschwader in 32 Jahren eine stolze Bilanz: Bis 1993 erreichten in 122 Lehrgängen mehr als 5500 Soldaten die militärischen Voraussetzungen für eine Beförderung zum Unteroffizier. Danach wurde diese Ausbildung für die Luftwaffe an andere Standorte verlegt. Bereits ein Jahr nach Indienststellung wäre das Geschwader so weit gewesen, der Bevölkerung zu zeigen, was es innerhalb kürzester Zeit an Aufbauarbeit geleistet hatte. Der dazu geplante Tag der offenen Tür wurde aber aufgrund eines tragischen Flugunfalls abgesagt, bei dem zwei Piloten ihr Leben verloren. Erst 1963 nahmen daher mehrere Zehntausend Gäste die Gelegenheit wahr, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

 

Beim zweiten Tag der offenen Tür im Jahr 1965 warf wieder ein Flugunfall einen dunklen Schatten auf die Veranstaltung. Eine für Rundflüge eingesetzte einmotorige Piaggio P.149D stürzte am östlichen Ortsrand von Niederschönenfeld ab. Der Pilot und drei Passagiere kamen dabei um. Es hätte der letzte Flug der Veranstaltung sein sollen.

Die Amtszeit von Fritz Wegner war beherrscht vom Auf- und Umbau des Geschwaders. Auch die Umrüstung auf das Waffensystem F-104G Starfighter fiel in seine Ära. Kein anderer Offizier war so lange Kommodore wie der "alte Fritz", wie er liebevoll genannt wurde. Sieben Jahre lang formte und prägte er das Neuburger Geschwader. Diese Spuren sind bis heute nicht verwischt. Die Ringstraße im Unterkunftsbereich in Grünau trägt seinen Namen.

19 weitere Kommodore sollten ihm auf dem Chefsessel des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74, wie der Verband heute heißt, folgen. Wegners Fähigkeiten erkannte unterdessen auch die politische Führung. Nach mehreren verantwortungsvollen und auch internationalen Verwendungen war er von 1981 bis 1983 kommandierender General des Luftflottenkommandos. 2007 starb Wegner im Alter von 85 Jahren. Das Jagdgeschwader 74 würdigte ihn mit einem großen militärischen Ehrengeleit zur Beisetzung.

DK

Ralf Schmitt