Ingolstadt
"Mit blauem Auge durch die Krise"

14.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:51 Uhr

Geheiratet wird immer: Juwelier Ralf Berg war von der Krise nicht betroffen. Er verzeichnet stetig wachsende Umsätze.

Ingolstadt (DK) Geteilte Meinungen gibt es zum derzeit viel beschworenen Aufschwung. Manche Unternehmen waren von den Folgen der Finanzkrise kaum betroffen, andere melden wieder volle Auftragsbücher. Doch es gibt auch Branchen und Menschen, die vom Aufwärtstrend noch nichts spüren.

Peter Kundinger, Pressesprecher der Arbeitsagentur Ingolstadt, stutzt erst einmal und lacht: "Ich hätte jetzt fast gefragt, welche Krise" Dann wird er ernst. Wie die Arbeitslosenzahlen deutlich machten, sei man in Ingolstadt und in der Region noch mit einem "blauen Auge" davon gekommen. "Die Firmen waren gut aufgestellt. Demnach konnten sie auf die Krise angemessen reagieren." Und tun dies auch jetzt, wie Kundinger sagt. "Nach der Kurzarbeit können sie mit hoher Qualität wieder loslegen." Dem Handwerk ginge es "gut bis sehr gut", Audi legt Erfolgszahlen vor, der Export floriert." Und auch die Zeitarbeitsunternehmen würden wieder mehr Menschen einstellen. Für Kundinger einer von vielen Indikator dafür, dass es bergauf geht.

 
Sorgenkinder hat er dann dennoch in der Statistik: Frauen. Und ältere Arbeitslose. "Wir hoffen vor allem für diese, dass wieder mehr Unternehmen auf deren Erfahrung setzen und das Potenzial erkennen." Damit die Region weiterhin gute Zahlen schreibt, rät Peter Kundinger, dass die Attraktivität des Standortes und der Firmen weiterhin gestärkt werde. "Das schafft und sichert Arbeitsplätze und wirkt dem Fachkräftemangel entgegen", weiß er.

Monika Uhlmann von der gleichnamigen Schlosserei gibt ein differenziertes Bild von der derzeitigen Wirtschaftslage. "Eine Belebung ist da." Das würden auch die vollen Auftragsbücher zeigen. Grundsätzlich glaubt die Unternehmerin, dass die Zahlen für das zweite Halbjahr noch besser ausfallen werden, und dass die Kaufkraft – letztlich und vor allem auch durch Audi – weiter steigt. Im ersten Halbjahr hätten Privatkunden verstärkt investiert. Problematischer sieht es hingegen bei den Preisen aus. "Diese sind nicht mitgegangen. Gestiegen wohl aber die finanziellen Belastungen für die Firmen." Der Marktwert werde derzeit nicht erreicht, so Monika Uhlmann.

Diese Einschätzung teilt auch Max Hechinger: "Da gibt es durchaus noch Luft nach oben." Der Bauunternehmer und Kreishandwerksmeister hofft darauf, dass sich dieses Ungleichgewicht bei steigender Nachfrage regelt. Für seine Branche meldet er ebenfalls "volle Bücher". Die Krise sei in Ingolstadt "abgefedert" spürbar gewesen. Das Handwerk sei seit dem zweiten Halbjahr 2008, 2009 und auch heuer gut bis sehr gut ausgelastet. "Wir sind zuversichtlich, dass es sogar einen Überhang in 2011 gibt", prognostiziert Hechinger. Dank der Aufträge durch das Konjunkturpaket, aber auch wegen der Inflationsangst, die viele Privatkunden in "Betongold" investieren lässt. Und zwar in solchem Umfang, dass die Betriebe mit den Aufträgen teils nicht nachkämen und Kunden vertröstet werden müssten. "Das macht uns und sie nicht glücklich", bedauert Hechinger.

Juwelier Ralf Berg hat hingegen meist mit glücklichen Kunden zu tun. Vor allem, wenn sie in sein Geschäft an der Schleifmühle kommen, um sich Trauringe auszusuchen. "Geheiratet wird immer", sagt Berg. Doch wie fast die gesamte Juwelierbranche sei auch er von der Krise verschont geblieben. Im Gegenteil. Er meldet stetig steigende Umsätze. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Standort Ingolstadt, ausgeklügelte Marketingstrategien und die langjährige Erfahrung, dass glitzernde Dinge immer Käufer finden.

Sabine Huber, die das operative Geschäft bei Edeka Fanderl unter sich hat, hat vom Aufschwung bislang ebenso wenig gespürt wie vom Abschwung oder gar einer Krise. "Es war und ist gleichbleibend." Man sei zufrieden. "Lebensmittel sind eben ein Muss-Produkt." Das ist für viele aus unterschiedlichen Gründen und Notwendigkeiten auch ein fahrbarer Untersatz. Und so melden auch die Autohäuser einen positiven Trend. Von einer guten Belebung des Geschäfts spricht Birgitta Schöberl-Mägdfessel, Geschäftsführerin im Autohaus Mori Schöberl. Dabei ist sie sich der Ausnahmesituation ihrer Branche durchaus bewusst. Mit der Abwrackprämie seien befürchtete Einbrüche aufgefangen worden. "Wir sind nun wieder auf dem Niveau von 2008." Da sei noch nicht alles im Lot, aber durchaus zufriedenstellend.

Dass Dinge, die das Leben ein wenig schöner und bunter machen, wieder gefragt sind, registriert Carmen Lindner, die in ihrem Laden "stilebene" Geschenke, Design und Accessoires verkauft. "Das Geld fließt wieder lockerer." Bereits nach Ostern, kurz nachdem sie von den City-Arkaden in den Zehenthof gezogen seien, hätten die Lieferanten Engpässe bei der Produktion gemeldet. "Die Wirtschaft zieht an", wurde ihnen damals signalisiert. Und das habe sich bewahrheitet, sagt Lindner. Und hofft dass es weiter geht mit dem Aufschwung.

Von diesem hat man auf dem Viktualienmarkt hingegen noch wenig mitbekommen. Bei Andis Hütte mag das auch der zweiten Reihe geschuldet sein, heißt es dort, wo seit zwei Monaten vegetarische Gerichte angeboten werden. Aber auch in der ersten Reihe, bei Heinz Brunner, der seit 32 Jahren, einen Stand betreibt, ist der vielfach beschworene Aufschwung noch nicht angekommen. Man sei ja auch vom Wetter abhängig. "Da kann noch so viel Geld in den Geldbeuteln sein. Wenn es regnet, dann geben die Leute das sicher nicht hier im Freien aus."

Ein Rentner, der sich ein Bier genehmigt, will das nicht so stehen lassen. "Also, meine Nullrunden sind wetterunabhängig." Und Thomas Balbrecht, arbeitslos und chronisch krank, verweist auf das gesunkene Lohnniveau. "Vor 20 Jahren war alles besser."

Siegfried Ortner, Wirt des Weißbräuhaus an der Dollstraße, wäre schon froh, wenn das Geschäft bislang so zufriedenstellend wie im vergangenen Jahr gelaufen wäre. Das verregnete Frühjahr, die WM an sich und das Public Viewing auf dem Rathausplatz im Speziellen seien nicht gerade geschäftsfördernd gewesen, sagt er. Grundsätzlich merkt er, dass die Gäste eher "kalten Speisen" zusprechen. Ob das nun krisenbedingt ist oder nicht, gegen oder für einen Aufschwung spricht, könne er nicht beurteilen, sagt er und lacht. Was ihm und seinen Kollegen helfen würde, das weiß er jedoch ganz genau: "Die Leute müssen wieder in die Stadt kommen."

Seine ganz eigene Philosophie über die wirtschaftliche Situation hat Renato Granata, der mit seiner mobilen Eisdiele Am Stein steht – und derzeit Hochsaison hat. "Das wichtigste im Leben ist nicht das Geld, sondern sind Familie, Liebe, Beziehungen – und vor allem Gesundheit." Aufschwung hin oder her.