Ingolstadt
Misstrauen auf beiden Seiten

Prozess gegen Asylbewerber: Die Ansichten gehen weit auseinander

17.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:11 Uhr

Ingolstadt (DK) Mit zehn Jahren zog er einsam los. Die Mutter ließ er zurück. Der Vater war schon lange tot. In der nigerianischen Millionenstadt Lagos fand der Heranwachsende Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt. Nach einigen Jahren wanderte er in die libysche Hauptstadt Tripolis weiter. Als er später sein Glück in Europa suchte, ließ er Frau und Kind zurück. Ende 2012 landete der junge Nigerianer an Bord eines Flüchtlingsschiffs auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa. Sein Weg führte in ein Münchner Asylbewerberheim. Dort lernte er eine 18-Jährige aus seiner Heimat kennen, die sich mit ihrem kleinen Sohn in der Fremde durchschlägt. Sie blieben in Kontakt, als er der Asylbewerberunterkunft in Dasing und sie der in Neuburg zugewiesen wurde. Vielleicht entwickelte sich eine sexuelle Beziehung, vielleicht auch nicht.

Jetzt sind sich der 29-Jährige und die heute 19-Jährige vor der 1. Strafkammer des Ingolstädter Landgerichts wiederbegegnet. Er als mutmaßlicher Täter, sie als mutmaßliches Opfer.

Die Vorwürfe: Vergewaltigung mit einem Messer im Anschlag, schwere Körperverletzung und Diebstahl. In der Nacht zum 31. Mai 2013 soll es im Neuburger Asylbewerberheim passiert sein. Doch der Ankläger und die Verteidigerin stehen sich bei der Beurteilung des Falls frontal gegenüber: Staatsanwalt Michael Hauber beantragte am Freitag eine Haftstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten. Die Anwältin Sabine Lösch fordert in allen Punkten einen Freispruch.

Der Staatsanwalt hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der 19-Jährigen. „Es passt alles zusammen: ihre Aussagen, ihre Verletzungen, die Angaben der Zeugen und die Beobachtungen der Polizisten.“ Der Angeklagte habe das Messer während der gesamten Vergewaltigung in der Hand gehalten. „Sie hat sich gewehrt, aber gegen die körperliche Überlegenheit und die Waffe hatte sie keine Chance.“ Die junge Mutter habe sich wenige Stunden nach der Tat der Polizei anvertraut. „Sie sagt die Wahrheit. Denn wie sollte sie sich in derart kurzer Zeit eine so komplexe Geschichte ausdenken“, argumentierte Hauber. Dagegen habe der Angeklagte Widersprüche offenbart. Wegen der großen Brutalität sei es unmöglich, von einem minderschweren Fall auszugehen.

Der Münchner Rechtsanwalt Peter Hückmann vertritt die 19-jährige Nebenklägerin. Er sprach von „demütigender Aggressivität“ des Angeklagten und warf ihm vor, „nichts verstanden und nichts aufgearbeitet zu haben“. Hückmann lieferte eine Erklärung dafür, warum niemand in der Asylbewerberunterkunft die Hilferufe der Frau gehört oder irgendwas gesehen haben will: Dort gehe jeder der Polizei lieber aus dem Weg, um das Asylverfahren nicht zu gefährden.

Verteidigerin Sabine Lösch sieht das völlig anders. Es habe nie Hilferufe gegeben, sagte sie. „Sonst wäre das Kind der Frau aufgewacht.“ Ist es aber nicht. Vielmehr sei anzunehmen, dass das Paar erst nach dem „einvernehmlichen Geschlechtsverkehr“ in Streit geraten ist: Wegen 50 Euro und eines USB-Sticks, die in dem Fall eine große Rolle spielen. Die Anwältin führte mehrere Aussagen an, die ihrer Ansicht nach die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers in Frage stellen. So sei die junge Frau dem Mann viel näher gestanden, als sie zugebe. Löschs Resümee: „Irgendwas wird vorgefallen sein.“ Aber keine Vergewaltigung.

Das Urteil wird am nächsten Dienstag verkündet.