Ingolstadt
Miss Marple und die Erdmännchen

11.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:57 Uhr

Foto: oh

Ingolstadt (DK) In einer tierischen Angelegenheit war die Justiz am Freitag zu Gange. Im Mittelpunkt standen zwei in Buxheim gestohlene Erdmännchen, deren odysseeartige Rückkehr ins heimische Gehege einerseits zum Schmunzeln anregte. Der Prozess am Amtsgericht rückte aber auch die Praktiken im Tierhandel in den Fokus. Ob diese Geschäfte immer artgerecht erfolgen, erschien mitunter recht zweifelhaft.

Strafrichterin Sandra von Dahl hatte jedoch nicht über solche Fragen zu befinden, auch wenn sie ebenso wie Staatsanwältin Julika Stark immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte. Die Anklage gegen einen 45 Jahre alten Tierhändler aus dem thüringischen Steinach lautete vielmehr auf Diebstahl. Er soll einem 33-jährigen Hobbyzüchter aus Buxheim im vergangenen September zwei handzahme Erdmännchen im Wert von 3000 Euro gestohlen und weiterverkauft haben. Die zu den katzenartigen Raubtieren zählenden Säugetiere hatte der Angeklagte dem Geschädigten ursprünglich selber verkauft. Der Buxheimer hatte zunächst vermutet, dass Tierschützer seinen Hof heimgesucht hatten. In der Tatnacht waren sämtliche Gehege geöffnet worden, neben den Erdmännchen fehlten auch fünf Fuchsmangusten und 13 Präriehunde. Der Züchter hatte deren Wert mit 20 750 Euro angegeben.

Der Thüringer war in Verdacht geraten, weil er zwei der fünf verschwundenen Erdmännchen wenige Tage nach dem Diebstahl zum Verkauf angeboten hatte. Auf verschlungenen Pfaden quer durch Deutschland landeten sie wieder in Buxheim. Um das nachzuvollziehen, musste Richterin von Dahl etliche Zeugen befragen, bis sie letztlich zum Schluss kam, dass der 45-Jährige wohl doch nicht der Dieb ist. Sie sprach ihn frei, wie es auch Staatsanwältin und Verteidiger beantragt hatten.

Der Tierhändler hatte seine Schuld von Anfang an bestritten und deshalb auch einen Strafbefehl in Höhe von 4800 Euro angefochten. Wie er sagte, könne er schon allein deshalb nicht der Täter sein, weil er in der fraglichen Nacht in einem Hotel in Tschechien gewesen sei. Das konnte der Mann am Freitag auch belegen. Er sei aber etwa eine Woche danach von einem ihm unbekannten Tschechen angerufen worden, der ihm zwei Erdmännchen zum Kauf angeboten habe. Über das Internet sei bekannt, dass er in der Branche tätig ist, so dass es öfter solche Kontakte gebe. Das sei nicht unüblich in diesem Geschäft, auch nicht das weitere Prozedere: Man habe sich am Grenzübergang getroffen, und er habe die Erdmännchen für 500 Euro gekauft, sagte der Angeklagte.

Zufall im Spiel

Der Thüringer hatte anschließend Kontakt mit einem Zirkusbeschäftigten aus Nordrhein-Westfalen aufgenommen, der Waschbären von ihm kaufen wollte, statt dessen aber Präriehunde von ihm angeboten bekam. Der 29-Jährige kannte diese nordamerikanische Erdhörnchenart jedoch nicht und dachte zunächst an eine Art Wildhunde. Um sich zu informieren, suchte er im Internet nach Haltern dieser Nager und stieß durch Zufall auf eine 38-Jährige aus Roth, die den bestohlenen Buxheimer persönlich kennt. Da dem 33-Jährigen auch Präriehunde abhanden gekommen waren, schöpfte sie Verdacht und informierte ihren Bekannten, nachdem der Zirkusmann angerufen hatte. Der Bestohlene forderte sie auf, den 29-Jährigen danach zu fragen, ob er ihr Erdmännchen besorgen könnte, was die Mittelfränkin auch tat. Da die Frau dem Westfalen 3000 Euro anbot, witterte der junge Mann ein Geschäft und meldete sich bei dem Thüringer Tierhändler. Er kaufte ihm die kleinen Raubtiere zu je 600 Euro ab und brachte sie zu der Abnehmerin nach Roth.

Dort wartete neben dem Buxheimer aber schon die Polizei und nahm ihn wegen Verdachts der Hehlerei fest. Der 33-Jährige konnte die zwei Erdmännchen über einen Chip und körperliche Besonderheiten zweifelsfrei als sein Eigentum identifizieren. Kurz darauf wurde auch der Thüringer vorläufig festgenommen.

Der Angeklagte berichtete gestern von Praktiken, die immer wieder ungläubiges Staunen hervorriefen, was den Umgang mit Tieren betrifft. Mal wurden Berberaffen gegen Präriehunde getauscht, dann Paviane verscherbelt, Kängurus oder Stachelschweine durch die Lande gekarrt, ein Wickelbär verkauft oder nebenbei 2500 Küken zum Verfüttern an Greifvögel besorgt. Viele Geschäfte, so hörte das Gericht, finden offenbar auf der Straße statt, auch unter Fremden. Selbst der bestohlene Buxheimer musste einräumen, schon einmal Tiere an der Autobahn erworben zu haben. In diesem Licht erschien die Version des Angeklagten, die verschwundenen Erdmännchen von einem völlig Unbekannten erhalten zu haben, durchaus als glaubwürdig.

Urteil rechtskräftig

Zusammen mit dem Alibi, wonach der Mann sich zur Tatzeit in Tschechien befunden hatte, konnte Richterin von Dahl nicht anders, als den 45-Jährigen frei zu sprechen. "Wir haben keine Zeugenaussagen und keine objektiven Beweise dafür, dass es anders gewesen sein könnte", sagte sie. Einzig der Bestohlene, der den Rückkauf der Tiere "ähnlich einer Miss-Marple-Geschichte" eingefädelt hatte, wie Staatsanwältin Julika Stark anmerkte, wollte trotz alledem bis zuletzt nicht an die Unschuld des Thüringers glauben. Das Urteil ist dennoch bereits rechtskräftig.